Der zeitlose Winter
magischen Adlerkleides flog er nach Midgard, wo die Götter Tyr, Loki und Odin einen Ochsen brieten. Immer noch in Gestalt des Adlers bat er die Götter um etwas Fleisch. Die Götter willigten ein, doch er aß so viel, dass Loki wütend wurde und den Adler mit einem Holzspeer durchbohrte. Der Adler stieg mit Loki, der immer noch den Speer festhielt und sich nicht befreien konnte, in die Luft auf. Thiazi ließ Loki frei, doch nur unter der Bedingung, dass er ihm die Göttin Idun und ihre Äpfel der Jugend brachte. Loki kehrte nach Asgard zurück. Eine Woche später besuchte er Idun in ihrem Saal und erzählte ihr, er hätte in Midgard einen Baum entdeckt, der goldene Äpfel trug, die ihren glichen. Er bot an, ihr den Baum zu zeigen, und gemeinsam überquerten sie die Regenbogenbrücke Bilföst und betraten Midgard. Wie stets trug Idun ihren Apfelkorb bei sich. Immer noch in der Gestalt eines riesigen Adlers stieß Thiazi nieder und trug Idun und ihren Korb voll goldener Äpfel nach Thrymheim. Ohne die Äpfel der Jugend begannen die Götter an den Folgen ihres hohen Alters zu leiden. Schon bald geriet Loki unter Verdacht und gab seine Beteiligung an der Entführung Iduns zu. Daraufhin drohten ihm die Götter mit dem Tod, sollte es ihm nicht gelingen, Idun und ihre Äpfel nach Asgard zurückzubringen.«
»Ich habe ihm noch weit Schlimmeres angedroht«, schnaubte Bragi. »Dieses kleine Arschloch.«
»Loki borgte sich von der Göttin Freya ein magisches Federkleid, nahm die Gestalt eines Falken an und flog nach Thrymheim. Dort machte er Idun ausfindig und verwandelte sie in eine Nuss. Dann machte er sich an den langen Rückflug nach Asgard. Als Thiazi in seine Burg zurückkehrte, stellte er fest, dass Loki Idun und die Äpfel der Jugend gestohlen hatte. Er nahm die Gestalt eines Adlers an und folgte Loki so schnell er konnte. Als die beiden Vögel sich der äußeren Mauer Asgards näherten, hatte Thiazi Loki beinahe eingeholt. Sobald Loki über die Mauer geflogen war, befahl Odin den Göttern, Stöße aus Holz und Sägespänen anzuzünden. Thiazis Flügel fingen Feuer und er stürzte zu Boden, wo ihn die Götter töteten.«
»Wir haben ihm mächtig den Hintern versohlt«, sagte Bragi.
Duk grinste und seine Augen funkelten. »Das kann man wohl sagen. Jedenfalls gab Loki Idun und ihren Äpfeln schließlich ihre ursprüngliche Gestalt zurück, und die Bewohner Asgards widmeten sich wieder ihren üblichen göttlichen Angelegenheiten.«
Hammurabi schüttelte den Kopf. »Dieses ganze Gerede von Göttern und Göttinnen – das ist Blasphemie. Allah wird daran keinen Gefallen finden.«
»Sei es nun Allah oder Odin, Jahwe oder Zeus – es kommt weniger darauf an, an wen du glaubst, sondern dass du überhaupt gläubig bist. Davon abgesehen ist das Wissen über den Gott, dem man sich am nächsten fühlt, stets von den religiösen Traditionen gefärbt, in die man hineingeboren wird«, sagte Duk. »Erfahrung ist nicht alles, aber sie bildet den Rahmen des Bildes, das im Laufe unseres Lebens entsteht.«
»Ich glaube an Allah«, sagte Ham trotzig, »und ich bin nicht sicher, ob ich mich an diesen Gesprächen beteiligen sollte.«
»Wenn du Allah das nächste Mal triffst, kannst du ihm ja erklären, dass man dich gezwungen hat«, sagte Fisch und gab sich wenig Mühe, die Verachtung in seiner Stimme zu verbergen. »Und wenn du schon einmal dabei bist, kannst du ihn auch gleich bitten, sich um das verkorkste Wetter zu kümmern.«
»Ich habe schon für geringere Beleidigungen getötet«, sagte Ham und machte einen Schritt auf seinen Bruder zu.
»Wenn du damit meinst, dass Menschen wegen dir gestorben sind, bemüh dich nicht – das weiß ich nur zu gut.«
»Jungs, Jungs«, sagte Duk beschwichtigend und trat diplomatisch zwischen die beiden. »Muss ich euch voneinander trennen?«
»Was denn«, sagte Bragi, »ist er etwa eure Mutter?«
Da mussten Ham und Fisch grinsen, und die Spannung war für einen Augenblick gebrochen. »Das hat mir gerade noch gefehlt«, sagte Fischmehl. »Ein Orientale mit einem Gott-Komplex als mein einziges überlebendes Elternteil.«
»Hey«, sagte Bragi, »wenn er eure Mutter ist, hätte ich nichts dagegen, euer Vater zu sein – solange ihr mit eurem Alten nicht unbedingt Sport treiben wollt.«
»Oh, warum nicht?«, sagte Ham boshaft. »Schließlich gibt es immer noch Basketball, Handball, Fußball… Jede Sportart, bei der man einen runden Gegenstand werfen oder kicken muss, sollte ganz gut
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