Der Zementgarten
schwierig, ihr Körper war so verkrümmt, daß er sich nicht drehen ließ.
»Sie geht nicht. Sie geht nicht«, rief Julie ärgerlich aus.
Schließlich gelang es uns, das Laken ein paarmal lose um sie zu schlagen. Sobald sie zugedeckt war, ging es leichter. Wir hoben sie hoch und trugen sie aus dem Schlafzimmer.
Wir brachten sie, jede Stufe einzeln, die Treppe hinunter, und unten in der Diele zogen wir das Laken wieder zurecht, wo es sich gelockert hatte. Mir taten die Handgelenke weh. Wir sprachen nicht darüber, aber wir wollten sie durchs Wohnzimmer hindurch tragen, ohne sie abzusetzen. Wir waren schon fast auf der anderen Seite bei der Küchentür, als ich mich links nach Sues Stuhl umsah. Sie saß da, den Mantel bis zum Kinn heraufgezogen, und sah uns beim Vorbeigehen zu. Ich wollte ihr etwas zuflüstern, aber bevor mir etwas einfiel, waren wir schon durch die Küchentür und manövrierten der Kellertreppe zu. Wir setzten sie schließlich einen Meter weit von der Kiste ab. Ich holte einen Eimer Wasser, um unseren riesigen Zementhaufen naß zu machen, und als ich später vom Mischen aufsah, stand Sue in der Tür. Ich dachte, sie würde uns vielleicht stoppen wollen, aber als Julie und ich uns aufstellten, um den Körper hochzuheben, kam Sue her und packte ihn in der Mitte. Weil sie sich nicht ausgestreckt hineinlegen ließ, war in der Kiste kaum Platz genug für sie. Sie sank einige Zentimeter in den Zement ein, der schon darin war. Ich drehte mich nach der Schaufel um, aber Julie hatte sie bereits in der Hand. Als sie die erste Schaufel voll nassen
Zement über Mutters Füße ausleerte, tat Sue einen kleinen Schrei. Und dann, als Julie die Schaufel neu auflud, ging Sue schnell zu dem Haufen hinüber, hob soviel Zement auf, wie ihre beiden Hände faßten, und warf ihn in die Kiste. Und dann warf sie Zement hinein, so schnell sie nur konnte. Auch Julie schaufelte schneller, wankte mit riesigen Ladungen zu der Kiste und rannte zurück, um neuen zu holen. Ich tauchte mit den Händen tief in den Zement und warf eine schwere Ladung hinein. Wir arbeiteten wie die Besessenen. Bald waren nur noch ein paar Flecken vom Laken zu sehen, und dann waren auch sie verschwunden. Und immer noch machten wir weiter. Die einzigen Geräusche waren das Scharren der Schaufel und unser schweres Atmen. Als wir fertig waren, und von dem Haufen nur noch ein feuchter Fleck auf dem Boden übrig war, floß der Zement in der Kiste beinahe über. Bevor wir nach oben gingen, standen wir noch da, sahen uns an, was wir gemacht hatten, und hielten den Atem an. Wir beschlossen, den Kistendeckel aufzulassen, damit der Zement schneller hart würde.
Teil zwei
6
Zwei oder drei Jahre bevor mein Vater starb, hatten meine Eltern zum Begräbnis eines ihrer letzten übriggebliebenen Verwandten gehen müssen. Vielleicht war’s eine Tante meiner Mutter oder meines Vaters, vielleicht war’s auch ein Onkel. Wer genau gestorben war, wurde nicht besprochen, wahrscheinlich weil dieser Tod meinen Eltern sehr wenig bedeutete. Auf jeden Fall bedeutete er uns Kindern nichts. Uns interessierte viel mehr, daß wir fast den ganzen Tag allein zu Hause gelassen würden und auf Tom aufpassen sollten. Mutter bereitete uns schon einige Tage im voraus auf unsere Pflichten vor. Sie würde unser Mittagessen vorkochen, und wir brauchten es nur noch aufzuwärmen, wenn wir hungrig wären. Sie zeigte uns der Reihe nach - Julie, Sue, dann mir -, wie der Herd anzumachen war, und nahm uns das Versprechen ab, dreimal nachzusehen, ob er richtig abgedreht war. Sie änderte ihren Entschluß und sagte, sie würde ein kaltes Mittagessen herrichten. Aber das ginge auch nicht, beschloß sie schließlich, weil es Winter war, und wir nicht ohne etwas Warmes über Mittag auskommen konnten. Vater sagte uns seinerseits, war wir tun sollten, wenn jemand an die Haustür klopfte, obwohl natürlich noch nie jemand an die Haustür geklopft hatte. Er instruierte uns für den Fall, daß im Haus ein Brand ausbräche. Wir sollten nicht drinbleiben und ihn bekämpfen, sondern aus dem Haus zur nächsten Telefonzelle rennen, und unter keinen Umständen sollten wir Tom dabei vergessen. Wir sollten nicht im Keller unten spielen, wir sollten nicht das Bügeleisen einstecken, noch sollten wir mit den Fingern in der Steckdose bohren. Wenn wir mit Tom aufs Klo gingen, sollten wir ihn die ganze Zeit festhalten.
Sie ließen uns diese Anweisungen feierlich wiederholen, bis sie in jeder Einzelheit stimmten,
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