Der Zementgarten
ruhig. »Ich war grade bei euch zu Haus. Dein Vater hat’s mir erzählt. Deine Mammi ist tot. Sie lief hinaus, um nach dir zu sehen, und ein Auto hat sie überfahren.«
»Ätsch-bätsch, deine Mammi ist tot«, krähte Tom.
»Sie ist nicht tot«, sagte der Junge zu sich selbst.
»Wenn ich’s dir sage«, zischte ich ihm zu. »Ich war grade bei euch zu Hause. Dein Vater ist ziemlich durcheinander, und er ist wirklich böse auf dich. Deine Mammi ist überfahren worden, weil sie nach dir gesehen hat.« Der Junge stand auf. Die Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. »Ich würde nicht heimgehen, wenn ich du wäre«, fuhr ich fort. »Dein Vater ist hinter dir her.« Der Junge rannte den Gartenweg entlang bis zur Haustür. Dann besann er sich, drehte sich um und rannte zurück. Als er an uns vorbeikam, fing er an zu heulen.
»Wo gehst du hin?« schrie Tom ihm nach, aber sein Freund schüttelte den Kopf und rannte weiter.
Sobald es dunkel war und wir alle im Haus saßen, wurde Tom wieder ängstlich und unglücklich. Er weinte, als wir ihn zu Bett bringen wollten, und also ließen wir ihn aufbleiben und hofften, er würde auf dem Sofa einschlafen. Er heulte und jammerte bei jeder Kleinigkeit, und darüber zu reden, was wir tun sollten, war unmöglich. Wir unterhielten uns schließlich im Kreis um ihn herum und schrien über seinen Kopf hinweg. Tom kreischte und stampfte gerade mit den Füßen, weil kein Orangensaft mehr da war, und Sue war dabei, ihn zu besänftigen, als ich schnell zu Julie sagte, »Wo sollen wir sie hintun?« Sie sagte etwas, aber es ging in Toms Gequiek unter.
»In den Garten, unter den Steingarten«, wiederholte sie. Später weinte Tom ganz einfach seiner Mutter nach, und während ich ihn tröstete, sah ich, wie Julie Sue etwas erklärte und diese nickte und sich die Augen wischte. Beim Versuch, Tom abzulenken mit einer Unterhaltung über die Tunnels, die er im Sand gebaut hatte, kam mir auf einmal ein eigener Einfall. Ich verlor den Faden beim Reden, und Tom fing wieder an, laut zu weinen. Er schlief erst nach Mitternacht ein, und erst danach konnte ich meinen Schwestern sagen, daß ich den Garten nicht für einen guten Plan hielt. Wir würden tief graben müssen und es würde viel Zeit brauchen. Untertags würde uns jemand dabei beobachten, und in der Nacht wären Fackeln dazu nötig. Wir könnten von den Wohnblöcken gesehen werden. Und wie wollten wir es vor Tom geheimhalten? Ich machte eine wirkungsvolle Pause. Ich hatte meinen Spaß daran, trotz allem. Ich hatte schon immer die Gentleman-Verbrecher im Kino bewundert, die mit vornehmer Zurückhaltung den perfekten Mord diskutierten. Beim Sprechen berührte ich den Schlüssel in meiner Tasche, und mir drehte sich der Magen um. Ich fuhr zuversichtlich fort, »Und natürlich, wenn sie nachschauen kämen, würden sie zuerst den Garten aufgraben. Sowas liest man jeden Tag in der Zeitung.« Julie beobachtete mich genau. Sie schien mich ernst zu nehmen, und als ich zu Ende war, sagte sie, »Also dann?«
Wir ließen Sue in der Küche bei Tom zurück. Sie war über meinen Einfall nicht zornig oder entsetzt. Sie war zu elend, um sich Gedanken darüber zu machen, und schüttelte langsam den Kopf wie eine traurige alte Dame. Draußen schien der Mond hell genug, daß wir den Schubkarren und eine Schaufel finden konnten. Wir schoben ihn bis zum Vorgarten und füllten ihn mit Sand. Wir kippten sechs Ladungen die Kohlenluke hinunter, dann standen wir draußen vor der Küche und wurden uns nicht einig über das Wasser. Ich sagte, wir müßten es in Eimern hinuntertragen. Julie sagte, es gäbe unten einen Hahn. Wir fanden ihn schließlich in dem kleinen Raum, wo die ganzen alten Kleider und Spielsachen waren. Weil er weiter weg vom Schlafzimmer war, kam mir der Keller weniger furchterregend vor als das übrige Haus. Ich fühlte mich dunkel dazu berechtigt, das Schaufeln und Mischen zu übernehmen, aber Julie hatte sich die Schaufel schon genommen und einen Sandhaufen gemacht. Sie schlitzte einen Zementsack auf und wartete, daß ich das Wasser holte. Sie arbeitete sehr rasch, stülpte den riesigen Haufen um und wälzte ihn in sich zurück, bis ein steifer grauer Matsch daraus geworden war. Ich hob den Deckel von der großen Blechkiste, und Julie schaufelte den Zement hinein. Der Zement lag jetzt ungefähr fünfzehn Zentimeter hoch auf dem Kistenboden. Wir einigten uns auf eine zweite Fuhre, und diesmal machte ich die Mischung, und Julie holte das Wasser. Bei
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