Der Zementgarten
der Arbeit kam mir der ganze Zweck unseres Unternehmens nicht ein einziges Mal in den Kopf. Zement zu mischen, daran war nichts Sonderbares. Als der zweite Zementhaufen in der Kiste war, hatten wir drei Stunden lang gearbeitet. Wir gingen in die Küche hinauf, um
Wasser zu trinken. Sue schlief in einem Sessel und Tom lag mit dem Gesicht nach unten auf dem Sofa. Wir deckten Sue mit einem Mantel zu und kehrten in den Keller zurück. Die Kiste war jetzt fast halb voll. Bevor wir Mutter herunterholten, so beschlossen wir, müßten wir einen wirklich großen Zementhaufen fertig haben. Wir brauchten lange, bis er geschafft war. Der Sand ging uns aus, und weil wir nur eine Schaufel hatten, gingen wir zu zweit nochmal in den Garten, um welchen zu holen. Im Osten wurde der Himmel schon hell. Wir fuhren fünfmal mit dem Schubkarren. Ich überlegte laut, was wir Tom erzählen sollten, wenn er am Morgen entdeckte, daß sein Sand verschwunden war. Julie sagte, ihn nachäffend, »Weggeblast«, und wir kicherten müde.
Als unsere letzte Mischung fertig war, war es fünf Uhr. Fast eine Stunde lang hatten wir uns nicht angeschaut oder miteinander gesprochen. Ich nahm den Schlüssel aus der Tasche, und Julie sagte, »Ich dachte, ich hätte ihn verloren, und dabei hast du ihn die ganze Zeit gehabt.« Ich ging hinter ihr die Kellertreppe hoch und in die Küche. Wir ruhten uns aus und tranken wieder Wasser. Im Wohnzimmer rückten wir einige Möbel beiseite und klemmten einen Schuh in die Tür, um sie offenzuhalten. Ich war es, der oben den Schlüssel umdrehte und die Tür aufstieß, aber Julie trat zuerst ins Zimmer. Sie wollte das Licht andrehen, und besann sich dann anders. Das graublaue Licht gab allen Dingen im Zimmer ein flaches, zwei-dimensionales Aussehen. Es war, als träten wir in ein altes Foto von Mutters Schlafzimmer ein. Ich schaute nicht gleich zum Bett hin. Die Luft war feucht und stickig, als hätten hier mehrere Leute bei geschlossenem Fenster übernachtet. Über dieser Abgestandenheit lag ein schwacher, scharfer Geruch. Er war beim Atemholen, wenn die Lungen voll waren, obenauf gerade noch zu riechen. Ich atmete flach durch die Nase. Sie lag genau so da, wie wir sie zurückgelassen hatten, ganz wie das Bild, das sich immer eingestellt hatte, sobald ich die Augen schloß. Julie stand am Fußende und hielt sich umarmt. Ich trat näher und gab jeden Gedanken daran, daß wir sie je hochheben könnten, auf. Ich wartete auf Julie, aber sie regte sich nicht. Ich sagte, »Wir können es nicht.« Julies Stimme klang hoch und gepreßt, und sie sprach rasch, als wollte sie fröhlich und tatkräftig tun.
»Wir wickeln sie ins Bettuch. Es wird schon nicht so schlimm. Wir machen schnell, dann wird es nicht so schlimm.« Aber sie regte sich noch immer nicht.
Ich setzte mich mit dem Rücken zum Bett an den Tisch, und sofort wurde Julie zornig.
»Schon recht«, sagte sie schnell, »überlaß nur alles mir. Warum machst du nicht erst mal was?«
»Und das wäre?«
»Sie in das Bettuch einwickeln. War doch dein Plan, oder?«
Ich wollte schlafen. Ich schloß die Augen und spürte eine schnelle, fallende Bewegung. Ich klammerte mich an die Tischkanten und stand auf. Julie sprach sanfter.
»Wenn wir das Laken auf dem Fußboden ausbreiten, können wir sie darauf herunterheben.« Ich ging auf meine Mutter zu und zog das Laken von ihr ab. Als ich es ausbreitete, ließ es sich mit aufgeblähten und in sich zurückschlagenden Ecken in einer so traumartigen Zeitlupen-Bewegung auf dem Fußboden nieder, daß ich vor Ungeduld keuchte. Ich packte meine Mutter bei der Schulter, schloß halb die Augen, und schob sie vom Nachttisch aufs Bett zurück. Ich sah ihr nicht ins Gesicht. Sie schien mir zu widerstreben, und ich brauchte beide Hände, um sie zu bewegen. Jetzt lag sie auf der Seite, die Arme seltsam angewinkelt, der Leib verkrümmt und in der Stellung erstarrt, in der sie seit vorgestern gelegen hatte.
Julie nahm sie bei den Füßen, und ich hielt sie unter den Schultern fest. Als wir sie auf das Laken niederlegten, sah sie so gebrechlich und traurig aus in ihrem Nachthemd, vor unseren Füßen liegend wie ein Vogel mit einem gebrochenen Flügel, daß ich zum erstenmal über sie weinte und nicht über mich. Sie ließ hinter sich auf dem Bett einen großen braunen Fleck zurück, dessen äußerer Rand in gelb überging. Auch Julies Gesicht war naß, als wir neben Mutter niederknieten und sie in das Bettuch einzurollen versuchten. Das war
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