Der zerbrochene Himmel
Il Popolo d'Italia las.
»Herr Christus von einem Christus!« fluchte er und knüllte die Zeitung zu einem Ball, den er weit weg auf den Boden warf.
Michilino, der den Lehrstoff wiederholte, weil er den Unterricht bei der Lehrerin Pancucci wieder aufnahm, saß am Eßzimmertisch neben Papà und erstarrte wegen des schrecklichen Fluchs, der ja lebendiges Blut aus den Wunden des Herrn Jesus schießen ließ. Er bekreuzigte sich und betete den Schmerzensreichen für Papà. Mamà, die das Geschirr abwusch, stürzte besorgt aus der Küche, während sie sich noch die Hände an einem Geschirrtuch abtrocknete.
»Giugiù, was ist denn los?«
Inzwischen war Papà aufgestanden, hatte die Zeitung genommen und sie auf dem Tisch glattzustreichen begonnen, zuerst mit der Messerschneide, dann mit der Handfläche. Es schien ihm leid zu tun, daß er sie zerknüllt hatte.
»Was los ist? Es ist los, daß Mussolini viel zu gut ist! Der Name Antonio Gramsci sagt dir was?«
»Nein«, sagte Mamà. »Wer ist er denn?«
»Der Chef der Kommunisten ist er! Ein großes Stinktier, den der Duce zuerst eingelocht hat, dann hat er aber Mitleid gehabt und ihn unter Hausarrest gestellt! Und weißt du, was die Zeitung schreibt? Weil dieser große Tunichtgut krank ist, hat der Duce keinen Geringeren als Frugoni zu ihm geschickt. Frugoni! Den besten Arzt, den es in Italien gibt! So behandelt der Duce ihn! Er schickt ihm einen Arzt, statt ihn krepieren zu lassen wie einen Hund! Das nämlich hätte dieser Signor Gramsci verdient! Sie hätten ihn gleich umbringen sollen, von wegen Prozeß, von wegen Gefängnis, von wegen Hausarrest! Ein Schuß aus der Pistole und aus!«
Mamà kehrte in die Küche zurück. Michilino sah Papà an.
»Aber einen Menschen umbringen, ist das nicht Sünde?« fragte er.
»Es gibt Menschen und Menschen, Michilì. Ein Kommunist ist kein Mensch, sondern ein Tier, und deshalb ist es keine Sünde, wenn man ihn umbringt.«
Nach einer Weile fragte Michilino wieder: »Papà, ist der Sohn eines Kommunisten auch ein Kommunist?«
Bevor er antwortete, dachte Papà darüber nach. Dann erwiderte er: »Michilì, bist du ein Faschist?«
»Ja, Papà.«
»Und wer hat dir beigebracht, ein Faschist zu sein?«
»Du, Papà.«
»Aber wenn ich kein Faschist, sondern ein Kommunist wäre, was würde ich dir dann beibringen?«
»Ein Kommunist zu sein.«
»Siehst du? Die Erziehung ist es, die zählt. Hundertprozentig wird der Sohn eines Kommunisten auch Kommunist wie sein Vater. Da besteht kein Zweifel. Eine schlechte Pflanze bringt immer neue schlechte Pflanzen hervor und vermehrt sich. Unkraut reißt man besser aus, bevor der gesamte Boden ein einziges Unkrautfeld wird, das kein gutes Kraut wachsen läßt. Ist das verständlich?«
»Sehr verständlich«, sagte Michilino.
Nun hatte er freie Bahn.
Am Montag ging er wieder zum Unterricht. Er verstaute das Gewehr in dem leeren Raum, zog das Türchen zu, hängte ein Schloß ein und steckte den Schlüssel in die Tasche. Nach ihm kam Totò Prestipino an, der Ras der Bissiner, mit einem blauen Auge, was die Nachwirkung eines Schlags war, den er bei der Schlacht um die Eroberung von Makallé abbekommen hatte.
»Was ist denn mit deinem Auge los?« fragte die Lehrerin.
Prestipino fing an zu lachen.
»Waren die Italiener«, antwortete er.
Die Lehrerin begann, die Arithmetik zu erklären. Sie mußte drei- oder viermal das gleiche wiederholen, weil Totò nicht verstanden hatte. Am Ende sagte die Lehrerin, daß sie am nächsten Tag keinen Unterricht geben würde, weil ihre Schwester Adilaida ins Krankenhaus von Montelusa eingeliefert worden sei, und sie müsse sie besuchen gehen.
Prestipino ging mit Michilino hinunter, und der hatte keine Lust, dem Gefährten zu enthüllen, wo er sein Gewehr versteckte. So gingen sie ein Stück Wegs gemeinsam, doch als sie sich verabschiedet hatten, kehrte Michilino zurück, um die Waffe an sich zu nehmen. Auf dem Weg nach Hause beschloß er, Mamà nicht zu sagen, daß die Lehrerin am nächsten Tag keinen Unterricht geben würde. Und das wäre keine Sünde, überlegte er. Sünde ist, wenn man eine Lügengeschichte erzählte, aber wenn man über eine Sache nicht redete, nichts über eine Sache sagte, die man erfahren hatte, dann wäre das keine Lügengeschichte und würde Jesus kein Leid zufügen.
Am nächsten Tag, als Mittag schon vorbei war, sagte er zu Mamà, er müsse sich ein Rechenheft kaufen gehen. Mamà gab
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