Der zerbrochene Himmel
Wohnung der Familie Maraventano zu entdecken? Wo sollte er anfangen? An diesem Tag war jedenfalls nichts mehr zu unternehmen, er mußte nach Hause, es wurde spät. Er trat aus der Haustür, ging mit schnellem Schritt die ganze Gasse hinunter, und kaum war er um die Ecke gebogen, stieß er auf jemanden, der in die umgekehrte Richtung ging. Das war Alfio. Sie sahen sich an.
»Was suchst du hier?« fragte Alfio.
»Und du?« fragte Michilino.
»Ich wohn' hier«, sagte der andere.
»Und ich komme hier nur vorbei«, sagte Michilino und setzte seinen Weg fort.
Am liebsten hätte er singen mögen, so sehr war er von Fröhlichkeit erfüllt. »Ich wohn' hier«, hatte Alfio gesagt. Diese Worte hatten nur eine Bedeutung: daß das armselige Loch nicht nur Schneiderei war, sondern noch ein anderes Zimmer haben mußte, wo sie aßen und schliefen. Er brauchte nicht mehr weiterzusuchen. Die Sache war klar. Er fing an zu laufen, kam zur Via Berta, nahm das Gewehr und ging nach Hause.
Er klopfte, aber niemand kam und öffnete. Sollte es sein, daß Mamà ausgegangen war? Nein, sie hätte ihn nicht vor dem Haus stehenlassen, wenn sie wußte, daß er vom Unterricht heimkam. Er klopfte noch einmal. Und endlich kam Mamà und öffnete. Sie war zerzaust, das Gesicht war gerötet, ihre Augen glänzten.
»Habt ihr früher aufgehört?«
Michilino blickte auf die Uhr im Eßzimmer. Es war sechs. Normalerweise kam er um halb sieben zurück. Vorsichtshalber antwortete er nicht, um keine Lügenmärchen zu erzählen. Er hörte, wie die Badezimmertür aufging.
»Ist Papà da?« fragte er überrascht und zufrieden.
Aber es war Padre Burruano.
»Liebe Signora«, sagte er. »Ich verabschiede mich von Ihnen und gehe. Und ich bin Ihnen dankbar für das lange und eindringliche Gespräch, das mir viel Freude bereitet hat.«
Mamà wurde zu einer richtigen Waberlohe. Das kam öfter vor, wenn Padre Burruano da war. Der Pfarrer streichelte Michilino und ging.
In dieser Nacht hatte Michilino einen Traum. Ohne das Wie und Warum zu wissen, befand er sich in der Hölle. Rings um ihn herum waren kleine gehörnte Teufel mit Schwänzen und Ziegenfüßen und Mistgabeln in den Händen. Sie lachten und stießen die Mistgabeln in arme beklagenswerte Nackte, die weinten und greinten und schrien, während haushohe Flammen emporschlugen und die Hitze unerträglich war.
»Das ist ein Irrtum«, schrie Michilino. »Ich darf hier nicht sein!«
Doch niemand hörte ihn, niemand beachtete ihn. Und er verzweifelte und weinte. Wenn er doch keine Sünde begangen hatte, wieso kam er dann in die Hölle? Plötzlich sah er mitten im Rauch und in den Flammen einen Teufel auftauchen, der das Gesicht von Alfio Maraventano hatte. Alfio lachte, und sein Gelächter dröhnte in Michilinos Ohren, während er die Forke nahm und sie geradewegs auf Michilinos Bauch richtete.
»Jetzt spieße ich dich auf!«
Und genau da erschien der liebe Herr Jesus, der über dem Feuer schwebte: »Nein! Halt ein, du kleiner Teufel! Michilino ist mein! Ist mein!«
»Ich bin dein!« sagte Michilino aus tiefster Seele.
Während der Teufel Alfio verdutzt innehielt, packte der liebe
Herr Jesus Michilino mit einer Hand bei den Haaren und zog ihn aus den Flammen.
»Ich danke dir, vielanbetungswürdiger lieber Herr Jesus!« sagte Michilino anerkennend.
Doch während er gezogen wurde, spürte der Junge, wie seine Kopfhaut sich vom Knochen löste. Der liebe Herr Jesus blieb mit dem Skalp in der Hand zurück, und Michilino stürzte wieder hinunter, ewig stürzte er hinunter, und als er endlich Boden berührte, befand er sich wieder inmitten der Flammen und vor Alfio, der ihm mit aller Kraft einen Stoß mit der Forke in den Bauch versetzte.
Er spürte, wie der Bauch sich öffnete und seine Gedärme durch die von der Forke verursachten Löcher hervorzuquellen begannen und sich so ineinander verschlangen, daß sie wie nie endende Würmer aussahen. Er schrie voller Entsetzen. Und weckte Papà und Mamà auf, die beide schliefen. Papà machte Licht an. Sie sahen, daß Michilino mit weit aufgerissenen Augen aufrecht im Bett saß und zitterte, als hätte er Terzanfieber.
»Was ist denn?« fragte Mamà besorgt.
»Ich hatte einen schlimmen Traum«, antwortete Michilino.
»Gib ihm ein bißchen Wasser«, sagte Papà und hielt Mamà ein Glas hin, das er immer auf dem Nachtkasten stehen hatte.
Mamà stand auf, beugte sich über ihren Sohn und ließ ihn trinken.
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