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Der zerbrochene Himmel

Der zerbrochene Himmel

Titel: Der zerbrochene Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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ihm das Geld, und er ging weg. Als erstes ging er zu Signor Ajena, dem Zigarettenhändler, und kaufte sich ein Heft, danach ging er zum Tabakwarenladen Aurora und kaufte sich eine Feder der Marke Lanciere. Dann eilte er zur Grundschule, vor der, allerdings auf der anderen Straßenseite, ein kleiner Garten lag, in dessen Mitte ein Denkmal für die Gefallenen des Großen Krieges stand. Er stellte sich hinter dem Sockel auf und wartete, daß die Kinder aus der Schule kommen würden. Endlich sah er Alfio Maraventano.
      Alfio hatte den Tornister über der Schulter, er ging mit gesenktem Kopf, betrachtete einsam die großen Pflastersteine. Michilino folgte ihm. Glücklicherweise ging der stinkende Kommunist schnell, denn anderenfalls hätte er die Sache sausenlassen müssen, er hätte nicht gewußt, was er Mamà erzählen sollte, um ihr die Verspätung zu erklären. Nachdem Alfio den Corso hinter sich gelassen hatte, begann er, den Hügel der Stadt hochzusteigen, und nahm dafür dieselben engen Straßen wie Michilino, wenn er zum Unterricht ging. Irgendwann bog Alfio nach links ab, während man zum Haus der Lehrerin, das in der Via Giovanni Berta lag, nach rechts abbiegen mußte. Hier überlegte Michilino ein bißchen, dann entschloß er sich, nicht weiterzugehen, denn es war schon spät.
      »Wie kommt es, daß du so lange gebraucht hast? Ich hatte schon angefangen, mir Sorgen zu machen!« sagte Mamà, als sie ihn zurückkommen sah.
      »Ich hab' mir auch eine Feder im Zigarettengeschäft Aurora kaufen müssen, das Heft allerdings hab' ich bei Signor Ajena gekauft.«
      Er hatte kein Lügenmärchen erzählt, alles war die schlichte, reine Wahrheit.
      Michilino hatte zu verstehen begonnen, daß man im Leben überhaupt keine Lügenmärchen zu erzählen brauchte, um die Wahrheit zu verbergen. Es genügte, die richtigen Worte zu finden, die die Tatsachen zurechtzurücken verstanden und sie so darzustellen vermochten, wie es einem angenehm war.
    Nach dem Mittagessen nahm er das Gewehr und den Schulranzen. »Ich gehe zu Signorina Pancucci.«
      Er ging bis zum Haus der Lehrerin, ließ das Gewehr dort stehen, kehrte zur Kreuzung zurück und bog in die Straße ein, die er mittags Alfio hatte nehmen sehen. Er ging sie ganz hinauf, zählte drei Gassen auf der rechten und zwei auf der linken Seite. Leute gingen vorbei, doch Michilino wollte nicht fragen, wo Maraventano der Schneider wohnte, das hielt er nicht für vorsichtig. Er fing mit den beiden Gassen auf der linken Seite an, ging ganz langsam, Schritt für Schritt, sah jede Haustür an, jeden Balkon, jedes Fenster. Nichts. Tatsache war, daß er selbst nicht wußte, was er eigentlich suchte, und der Zufall, daß er einen Maraventano treffen würde, sei's der Vater, sei's der Sohn, war mehr als unwahrscheinlich. Erst die letzte der drei Gassen auf der rechten Seite brachte ihm Glück. Es war eine nur aus Biegungen bestehende Straße, in der es nach Kohl und Scheiße roch, vor den Häusern flossen Rinnsale aus schmutzigem Wasser, aus Pisse und Scheiße. Mit einem Schauder im Rücken, der ihn so zum Beben brachte wie ein elektrischer Schlag, sah er über der Tür eines armseligen finsteren Raumes zu ebener Erde, der nur durch die offenstehende Fenstertür belüftet wurde, ein hölzernes Schild, ganz mit abgeplatztem und verschimmeltem Grün angestrichen. In Schwarz stand darauf: »S. Maraventano – Schneiderei«. Er hatte den verborgenen Schatz gefunden. Der liebe Herr Jesus hatte seine Schritte gelenkt. Er ging durch die Haustüröffnung eines halb zerfallenen kleinen Hauses, das keine Tür hatte und zu einem öffentlichen Scheißort geworden war. Der Gestank war derart, daß Michilino sich fast erbrechen mußte, aber er hielt durch, indem er das Taschentuch vor seine Nase hielt. Von dort aus konnte er mit vorgestrecktem Kopf die armselige Behausung sehen, ohne selbst gesehen zu werden. Auf beiden Seiten der Tür zur Schneiderei waren kleine Vitrinen ohne Glas, leer und vollgestaubt. In der erbärmlichen Hütte brannte eine Glühbirne, deren Licht so schwach war, daß man kaum etwas erkennen konnte. Es gab auch so eine Art Arbeitstisch, und dahinter erkannte er genau Totò Maraventano, der eine Hose aufbügelte. Aber wo war Alfio? Vielleicht war er ja zu Hause und machte Schulaufgaben. Und das würde bedeuten, daß dieses armselige Loch nicht gleichzeitig auch Wohnung war, sondern nur Geschäft. Michilino sah sich schon verloren. Wie konnte er es anstellen, die

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