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Der zerbrochene Himmel

Der zerbrochene Himmel

Titel: Der zerbrochene Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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nicht imstande, weiterzumachen.«
      Er kam mindestens eine Viertelstunde früher nach Hause. Er klopfte, und auch diesmal kam Mamà nicht gleich, um zu öffnen.
    »Ich komme, ich komme«, hörte er Mamàs Stimme.
      Doch es vergingen noch ein paar Minuten, bevor sie öffnen kam. Sie war ungekämmt, ihr Gesicht war gerötet, die Augen glänzten.
    »Ist Padre Burruano da?« fragte Michilino.
    »Ja«, sagte Mamà verblüfft. »Woher weißt du das?«
    »Ooch«, sagte Michilino.
      Seine Mutter wirkte ein kleines bißchen besorgt. Tatsache war, daß Mamà jedesmal, wenn sie mit dem Pfarrer zusammen war, schöner wurde, Michilino hatte Lust, sie zu umarmen und sie ganz fest an sich zu drücken.
    »Padre Burruano will mit dir reden«, sagte Mamà.
      Sie gingen ins Wohnzimmer. Der Pfarrer trank ein Gläschen Mandarinenlikör, den Mamà mit eigener Hand herstellte.
    »Lieber Michilino«, sagte Padre Burruano, »ich habe mit deiner Mutter gesprochen und festgestellt, daß der Zeitpunkt für deine Firmung gekommen ist. Weißt du, was es bedeutet, gefirmt zu werden? Es bedeutet, daß man ein Soldat Jesu wird und der Miliz Christi angehört.«
      »Aber ich gehöre doch schon der Miliz des Duce an«, sagte Michilino.
      »Das eine schließt das andere nicht aus. Man kann sowohl ein Soldat Jesu sein als auch ein Kämpfer des Duce. Wenn du auch unseren Katechismus gelernt hast, wirst du, der du ja schon den faschistischen kennst, sehen, daß die Unterschiede gering sind. Du wirst doppelte Ehre und doppelte Pflichten haben.«
      »Und wer sind die Feinde Jesu, gegen die man kämpfen muß?«
      »Ehhh, lieber Michilino, das sind viele. Es gibt Menschen, die nicht an Gott glauben, die heißen Atheisten, aber die muß man weniger bekämpfen als bekehren. Doch die Schlimmsten sind die, die gegen Gott, gegen die Muttergottes, gegen Jesus sind. Die, die Kirchen und Heiligenbilder zerstören, darauf spucken, Nonnen und Geistliche umbringen und sie entsetzlich leiden lassen.«
    Michilino erschrak.
    »Und wer sind die?«
      »Die Kommunisten, Michilì, die sind die wirklichen Feinde des Herrn Jesus, und die muß man bekämpfen und besiegen. Das ist die allererste Aufgabe eines Soldaten Jesu. Erinnere dich daran.«
      Michilino fühlte sich von einer brodelnden Lust auf eine Schlacht erfaßt.
    »Kann ich mich morgen firmen lassen?«
    Padre Burrunano lachte.
    »Das ist nicht so einfach. Der, der die Miliz Christi weiht, ist der Bischof von Montelusa persönlich. Doch vorher muß man sich vorbereiten. Jeden Mittwoch, angefangen mit der letzten Woche dieses Monats November, kommst du in die Kirche, nachmittags um vier. Monsignor Baldovino Miccichè, ein Militärkaplan, wird den Unterricht abhalten. Dann, um den fünfzehnten Dezember, wird der Bischof euch firmen.«
      Ganz eindeutig wollte auch das liebe Jesulein, daß er, sein Soldat, Alfio Maraventano umbrachte. Alfios Tod würde sein Pfand der Treue zur Armee des Herrn sein. Und daher mußte das, was getan werden mußte, vor dem Tag der Firmung getan werden.
      Am nächsten Tag ging er mit dem Tornister und seiner Muskete, der mit dem angespitzten Bajonett, aus dem Haus. Er kam zum Haus der Lehrerin Pancucci und ließ das Gewehr in dem kleinen Raum. Danach ging er den Weg bis zur Schneiderei Maraventano. Er stellte sich in dem stinkenden Tor ohne Torflügel auf, mit dem Taschentuch vor der Nase, und sah um sich. Es war halb fünf nachmittags, und obwohl es ein schöner sonniger Tag war, war das elektrische Licht in dem dunklen Geschäft eingeschaltet. Er sah, wie ein Mann von ungefähr siebzig in Gegenwart des Schneiders einen Einreiher anprobierte. Er hörte nicht, was sie sagten, aber aus ihren Gesten konnte er schließen, daß sie diskutierten. Vielleicht war der Alte nicht zufrieden damit, wie die Jacke fiel. Michilino blickte um sich, in der Gasse war keine Menschenseele. Er stellte sich neben der Tür zur Schneiderei vor eine Vitrine. Doch auch dort konnte er das Gespräch nicht hören, das die beiden führten, lediglich das eine oder andere Wort.
      »Giftgase … Mussolini … die armen Bissinier«, sagte der Siebzigjährige.
    »Mussolini … verdammter Mörder«, sagte Maraventano.
    »Stinksau«, legte der Alte nach.
    So über den Duce reden zu hören versetzte Michilino derart in Schrecken, daß er sich auf einmal, ohne zu wissen wie, wieder in dem Toreingang befand. Auch der Siebzigjährige war also Kommunist! Es konnte ja auch nicht anders sein: Wer

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