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Der zerbrochene Himmel

Der zerbrochene Himmel

Titel: Der zerbrochene Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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ging denn schon zu einem kommunistischen Schneider, um sich einen Anzug machen zu lassen, wenn nicht ein anderer Kommunist? Wie viele gab's eigentlich von denen? Er hatte kaum wieder mit dem Spähen begonnen, als er in dem armseligen Raum jetzt auch Alfio sah. Ganz sicher mußte in der Schneiderei eine Tür sein, die er von seinem Standort aus nicht sehen konnte und die in das andere Zimmer führte, wo die Maraventanos schliefen. Aber wieso waren keine Frauen zu sehen? Es war wichtig zu wissen, wie viele Menschen in der Wohnung waren, er wollte ja nicht von jemandem, der plötzlich auftauchte, überrascht werden. Er erinnerte sich, daß Alfio in Begleitung seines Vaters in die Schule gekommen war und nicht mit seiner Mutter, so wie alle anderen Kameraden. Wetten, daß er durch den Tod seiner Mutter eine Waise war und auch einziges Kind?
      Michilino stand über eine Stunde in dem Toreingang. Der Siebzigjährige ging fort, und nach einer Weile setzte auch der Schneider den Hut auf und ging, nachdem er Alfio einen Kuß gegeben hatte, ebenfalls weg. Alfio verschwand ins andere Zimmer und kam dann wieder zurück. Er hatte ein Heft und die Fibel in der Hand. Nachdem er auf dem Arbeitstisch ein Tintenfaß, den Federhalter und ein Löschblatt angeordnet hatte, öffnete er die Fibel und fing an, Schulaufgaben zu machen. Er saß auf einem Strohstuhl genau unterhalb der Lampe und hatte seinen Rücken der Eingangstür zugewandt. Das war wohl seine übliche Position, wenn er Schulaufgaben machte, und daher würde er, wenn jemand hinter ihm auf leisen Sohlen von der Straße hereinkam, überhaupt nichts bemerken.
    »Schade, daß es jetzt zu spät ist«, dachte Michilino.
      Es war an der Zeit, nach Hause zurückzukehren, es wurde schon dunkel. Er tröstete sich, indem er sich sagte, daß es an einer Gelegenheit nicht fehlen würde. Das Gewehr ging er nicht mehr holen. Mamà merkte nicht einmal, daß er es nicht bei sich hatte, und fragte ihn daher auch nichts. Genau das war es, was Michilino sich wünschte.
    Papà kam über und über zufrieden nach Hause.
    »Schalte das Radio ein«, sagte er zu Mamà.
    »Warum? Was ist passiert?«
      »Es scheint, Mussolini hat De Bono von seinem Posten abberufen und an seine Stelle Badoglio gesetzt. Ja! Der ist ein General mit quadratischen Eiern!«
      »Rede nicht so unanständig«, tadelte Mamà ihn. »Du redest so, und dann wird der Junge die Unanständigkeiten wiederholen!«
      »Aber sind die Eier denn nicht die kleinen Kugeln, die sich unter dem Vögelchen befinden?« fragte Michilino.
      »Siehst du's? Was hab' ich gesagt?« fuhr Mamà auf. »Michilì, das ist kein Wort, das zivilisierte Menschen aussprechen.«
      »Dann soll das wohl heißen, daß ich unzivilisiert bin?« sagte Papà.
    »Manchmal bist du schlimmer als ein Karrenkutscher!«
      »Und wenn ich schlimmer als ein Karrenkutscher bin, tut dir das in bestimmten Augenblicken nicht leid«, meinte Papà und sah ihr in die Augen.
    Mamà wurde rot und sagte nichts.
      »Also, erklärt ihr mir nun die Angelegenheit?« beharrte Michilino.
      »Das ist so eine Redeweise«, sagte Papà. »Man redet so, um damit auszudrücken, daß ein Mann ein richtiger Mann ist, stark und mutig.«
    »Und wie sind meine? Quadratisch?«
    Papà und Mamà lachten von Herzen.
      »Noch bist du ein kleiner Junge«, sagte Papà, »aber wenn du einmal groß bist, wirst du sicher welche haben wie Badoglio, quadratische.«
    Er hätte noch fragen wollen, ob die Eier, die er hatte und die noch rund waren, ausreichen würden, um einen Kommunisten umzubringen. Aber er zog es vor zu schweigen.
      Als er zum Unterricht ging, nahm er diesmal das geschenkte Gewehr mit, das mit dem Kügelchen an der Bajonettspitze.
      Er kam zum Haus der Lehrerin, öffnete das Türchen und stellte es neben das andere, das bereits dort war. Signorina Pancucci begann mit dem Erklären der Naturwissenschaften, aber es war offenkundig, daß sie mit den Gedanken nicht bei der Sache war. Sie wiederholte, was sie gerade eben schon erklärt hatte, sie vertat sich, gebrauchte die falschen Wörter. Plötzlich wurde sie von einem Heulkrampf gepackt und mußte ins Badezimmer gehen. Kaum waren sie alleine, fragte Prestipino: »Gehst du eigentlich nie ins Filmtheater?«
    »Zweimal bin ich dagewesen, mit Papà und Mamà.«
    »Schicken sie dich auch alleine?«
    »Weiß nicht, hab' sie noch nie gefragt.«
      »Probier's doch mal. Wenn sie ja sagen, können wir an einem der

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