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Der zerbrochene Himmel

Der zerbrochene Himmel

Titel: Der zerbrochene Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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sind, Tom Mix, Krick und Krock und Mickymaus.«
      Sobald Papà zum Essen gekommen war, verflog Mamàs schlechte Laune. Gerade war der Tisch gedeckt, da klopfte es. Mamà ging öffnen und kam mit einem Strauß Blumen zurück.
    »Wer schickt sie dir?« fragte Papà.
      »Weiß nicht«, sagte Mamà. »Ein kleiner Junge hat sie gebracht und ist gleich wieder weggelaufen. Da ist nicht einmal ein Billett bei, nichts!«
      »Jetzt haben wir schon anonyme Verehrer?« sagte Papà finster. »Wirf den Strauß auf der Stelle in den Abfall.«
    »Nein«, sagte Mamà.
    »Ich esse draußen«, entgegnete Papà, setzte sich den Hut auf
    und ging fort.
      Mamà sagte keinen Laut, mehr noch, sie wirkte zufriedener als vorher.
      Sie aßen. Michilino sah die Blumen an, die Mamà in die Mitte des Tisches gestellt hatte. Und als er sie so ansah, erinnerte er sich, daß er diesen Strauß mit gelben und grünen Bändern schon tags zuvor gesehen hatte, zu Füßen der Madonna, als sie in die Kirche gegangen waren, um mit Padre Burruano zu reden.
      Heilige Muttergottes, was für einen furchtbaren Kampf führten Papà und Mamà in dieser Nacht!

    Als er die Wohnung verließ, um zu Signorina Pancucci zu gehen, erzählte er Mamà die erste Lügengeschichte seines Lebens. »Die Lehrerin hat gesagt, sie würde eine Stunde anhängen, um aufzuholen.«
    Diese Lüge war notwendig, denn sonst wäre er nie in der Lage
    gewesen, seine Pflicht zu tun. Wenn man, um einen Kommunisten umzubringen, eine Lüge erzählen muß, ist diese Lüge zwar eine Sünde, aber ganz sicher eine läßliche. Das liebe Jesulein hätte zwar ein bißchen gelitten, würde aber überreichlich entschädigt durch den Tod eines seiner Feinde. Er beschloß, die Sünde am kommenden Sonntag zu beichten.
      Die Lehrerin war ganz in Schwarz gekleidet, in strengster Trauer, und hin und wieder wurden ihre Augen rot. Seit er bei Signorina Pancucci zum Unterricht ging, war er noch nie ermahnt worden; wer sich ständig Vorwürfe einhandelte, war Totò. Diesmal aber sagte die Lehrerin zu ihm: »Michilì, was ist mit dir heute los, du bist so unkonzentriert.«
    Die Stunde des Unterrichtsschlusses wollte einfach nicht näherrücken. Endlich sagte die Lehrerin, es würde reichen und sie würden sich dann am nächsten Tag wiedersehen. Michilino verschwand wie der Blitz, noch bevor Prestipino seine Hefte in den Tornister gesteckt hatte. Er übersprang jeweils eine Stufe, öffnete die kleine Eisentür, nahm sein Gewehr, schloß wieder ab, und im Handumdrehen gelangte er vor die Schneiderei und brachte sich in Stellung.
    Alfio saß an seinem üblichen Platz und machte Schulaufgaben, sein Vater zog sich die Jacke an. Danach setzte er den Hut auf, nahm den Regenschirm, denn es regnete ganz leicht, küßte seinen Sohn auf den Kopf und ging fort. Michilino wartete, bis er um die Ecke war. Er hob das Bajonett hoch, steckte es auf und bekreuzigte sich. Doch er fühlte sich kraftlos, und gelegentlich fuhren ihm gewaltige Schauder über den Rücken, genau wie beim Auftreten von Malariafieber. Irgendwann gelangte er zu der Überzeugung, daß er es niemals schaffen würde, die Straße zu überqueren, die ihm nicht mehr wie eine Straße vorkam, sondern wie eine Mauer aus Steinquadern. Du mußt es tun, sagte er sich, sonst bist du nicht würdig, ein Soldat Christi und Mussolinis zu sein. Vielleicht gab es ja eine Lösung. Um sich nicht einmal vom Rauschen des Regens, der jetzt stärker geworden war, ablenken zu lassen, betete er nun mit geschlossenen Augen ein Vaterunser, ein Credo und ein Avemaria. Danach sagte er mit lauter Stimme den Punkt acht der Zehn Gebote für einen Baliila auf: »Mussolini hat immer recht!« Jetzt war er bereit, doch bevor er aus dem Hauseingang stürmte, steckte er den Kopf hinaus, um zu sehen, ob jemand auf der Straße war. Er schnellte zurück, denn ein humpelnder Mann war am Anfang der Gasse aufgetaucht. Er hatte keinen Regenschirm, aber der Regen machte ihm offensichtlich nichts aus, denn er ging langsam. Michilini fühlte sich im Herzen sterben und sah, daß Alfio aufstand und ins andere Zimmer ging. Wetten, daß er nun auch das Haus verließ! Michilino konnte Alfio immer noch töten, wenn er aus der Schneiderei kommen würde, etwa, wenn er die Tür abschloß, doch wenn er, Michilino, das so im Freien machte, war die Gefahr größer, gesehen zu werden. Der Humpelnde ging vorüber, und von Alfio war nicht mal ein Schatten zu sehen. Es blieb ihm nur noch wenig Zeit,

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