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Der zerbrochene Himmel

Der zerbrochene Himmel

Titel: Der zerbrochene Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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viel zu wenig. Und plötzlich kam Alfio zurück, setzte sich und machte weiter seine Schulaufgaben. Michilino bemerkte, daß er selbst ganz verschwitzt war.
      »Du Kommunistenstinker! Gehörnter hat er zu mir gesagt, Gehörnter zu mir und zu meinem Vater! Gehörnter hat er zu mir bei der Eroberung von Makallé gesagt! Und wenn er das schon zu mir sagt und zu meinem Vater, dann sagt er das auch zu Mussolini! Und jetzt zeig ich dir, wer der eigentliche Gehörnte ist, du Riesengehörnter, du Kommunistenkrätze!«
      Er überquerte die Straße wie ein geölter Blitz und ohne sich darum zu scheren, keinen Lärm zu machen. Von der Tür der Schneiderei bis zu Alfios Stuhl waren es zwei Schritte, doch Michilino machte nur einen und flog durch die Luft, das Gewehr wurde eins mit seiner Hand, die Spitze des Bajonetts bohrte sich in Alfios Nacken, die Klinge drang bis weit über die Hälfte ein, ein Stückchen von ihr trat unterhalb des Adamsapfels wieder aus. Der Stinkkommunist verharrte einen Augenblick reglos, dann sank er zuerst langsam vor, wie bei einem Anfall von Schläfrigkeit, danach fiel sein Kopf wie ein Stein auf den Arbeitstisch. Michilino stemmte einen Fuß in Alfios Rücken und zog mit beiden Händen das Gewehr nach hinten, doch das Bajonett bewegte sich nicht, es schien zu klemmen. Dann aber war es schlagartig draußen. Michilino wankte zwei Schritt zurück. Das Blut des Einstichlochs begann herauszuschießen wie bei einem Springbrunnen und verdreckte Heft und Fibel.
      Michilino sah unter dem Arbeitstisch eine Rolle Anzugsstoff und wischte damit das blutverschmierte Bajonett ab. Danach nahm er es ab, klappte es ein, schulterte das Gewehr, lud es, indem er das Schloß hin und her bewegte, wie man es ihm am faschistischen Samstag beigebracht hatte, zielte und feuerte in den Kopf des Kommunisten den sogenannten Gnadenschuß.
    »Pumm!« sagte er mit allem Atem, den er noch hatte.
    Er sah Alfio an, dem das Blut jetzt den ganzen Rücken
    durchnäßt hatte, und ging fort. Auf der Gasse traf er niemanden. Er kam zum Haus der Lehrerin, ließ sein Gewehr dort und nahm das Bereitschaftsgewehr. Er machte sich auf den Weg nach Hause, ohne sich vor dem Regen zu schützen, ja, es machte ihm Freude, das Wasser auf seinem Gesicht zu spüren. Es war getan. Jetzt konnte er auch in die Miliz Jesu eintreten. Und seine Pflicht hatte er wesentlich besser erfüllt als ein erwachsener Mann.
      Abends, beim Essen, sagte er, daß er am nächsten Morgen zur Beichte gehen wollte.
      »Welche Sünden hast du denn begangen?« fragte Papà und lachte.
      Mamà dagegen machte es eindeutig Freude. Sie stand auf, ging zu ihrem Jungen, gab ihm einen Kuß und drückte ihn fest.
      »Mein lieber, guter Sohn! Weißt du, was ich gesehen habe, als ich am Filmtheater vorbeiging? Daß sie morgen einen Film zeigen, der Tom Mix kehrt zurück heißt. Ich gebe dir das Geld, wenn du dich zu deiner Lehrerin auf den Weg machst, und wenn der Unterricht dann zu Ende ist, gehst du schnurstracks ins Filmtheater. Nur sage ich dir mit aller Eindringlichkeit: Um halb neun mußt du wieder hier sein.«
      Er ging früh schlafen, er war müde. Und er schlief wirklich wie ein Stein. Mamà weckte ihn um halb acht.
      »Michilì, die Milch ist fertig, aber wenn du die Kommunion empfangen willst, mußt du nachher essen.«
    »Ich gehe zur Kommunion«, sagte Michilino.
    Im Beichtstuhl war Padre Jacolino.
    »Bist du ungehorsam gewesen?«
    »Nein.«
    Genau die gleichen Fragen wie beim letzten Mal. Als die Frage zu beantworten war, ob Michilino gelogen habe, sagte er: »Nur eine Lüge.«
    »Große oder kleine Lüge?«
    »Kleine.«
    »Hast du unanständige Dinge getan?«
    »Nein.«
    »Fünf Avemaria und fünf Vaterunser.«
      Er hörte die heilige Messe, Padre Burruano gab ihm die Kommunion, und bevor er weiterging und eine andere Hostie austeilte, streichelte er Michilinos Gesicht. Danach kniete Michilino vor dem Kreuz nieder und begann, mit dem Herrn Jesus zu sprechen.
      »Du weißt ja schon, was ich gestern für dich getan habe«, sagte er.
      Da geschah das Wunder. Das leidende Gesicht des Heilands wurde ganz glatt, das Blut auf seiner Stirn verschwand, die zum Himmel gerichteten Augen senkten sich langsam auf ihn herab, der Mund öffnete sich zu einem kaum merklichen Lächeln.
    »Du bist mein«, sagte der Heiland.
      Und dann erschien das Leiden erneut wie ein wildes Tier auf seinem Antlitz, hetzte es, verbiß sich in ihm, wieder und wieder löste

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