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Der Ziegenchor

Der Ziegenchor

Titel: Der Ziegenchor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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Theater zu nennen. Alexander hatte bereits auf einem riesengroßen geschnitzten Eichenthron Platz genommen. Er war offensichtlich wütend, daß das Theater noch nicht fertig war, und vor ihm kniete ein Mann, den ich für den Aufseher über die Arbeit hielt.
    »Dieser elende Hund hat seine Pflicht versäumt«, grummelte Alexander mit seiner thessalischen Stimme. »Er hat bei Poseidons Kopf geschworen, alles werde fertig sein, und er hat seinen Schwur gebrochen. Also schön, dann soll sein Blut…«
    »Nein, tu das nicht«, unterbrach ihn Theoros höflich. »Das bringt nämlich furchtbares Unheil. Nicht wahr, Eupolis?«
    »Ganz furchtbares Unheil«, bestätigte ich.
    Alexander zuckte die Achseln und gab sich wieder ganz athenisch. »Aber es ist so schrecklich unartig von ihm«, jammerte er. »Er wußte, daß wir ehrenwerte Gäste erwarten, und nun seht euch das hier an.«
    »Na und? Es ist doch bestens«, versicherte ich ihm. »Ändre bloß nichts daran.«
    »Na ja, wenn du meinst, es ist in Ordnung so, dann muß es ja in Ordnung sein«, mischte sich Jason mit seiner Fistelstimme ein. »Warum setzen wir uns also nicht einfach alle hin und amüsieren uns endlich?«
    Die thessalischen Edelmänner, die letzte Nacht auf dem Fest gewesen waren, marschierten der Reihe nach herein und grüßten die Prinzen; sie sahen so elend aus, wie ich mich fühlte. Schließlich bat Alexander um Ruhe und verkündete mit schmetternder Stimme: »Eupolis, laß deinen Chor auftreten!«
    Ich habe einmal ein Stück von Kratinos gesehen, das eine Parodie auf die Blendung des Ödipus war, und obwohl sie mir gefiel, fragte ich mich, was Ödipus persönlich davon gehalten hätte, daß sein tragisches Leid für eine Komödie herhalten mußte. Gegen Ende der Anfangsszene meines Heerführers, in der Aufführung durch Mitglieder der Elite der thessalischen Jugend, kannte ich die Antwort: Es hätte ihm gut gefallen. Anfangs wußte ich allerdings nicht, wo ich hinsehen sollte. Ich war so peinlich berührt – zumal Theoros und Straton mit weitaufgerissenen Augen wie ein Paar Eulen dasaßen –, daß ich mir mit Vergnügen die Kehle durchgeschnitten hätte, wenn ich mir ein Rasiermesser hätte borgen können. Aber als die Darsteller immer häufiger ihre Verse vergaßen, und ich sie soufflieren mußte, fing ich allmählich an, mich prächtig zu unterhalten. Es war hilfreich, daß die gesamte Truppe, Chor wie Darsteller, nicht die leiseste Ahnung hatte, was auch nur eine einzige Zeile zu bedeuten hatte, und deshalb sämtliche Mitwirkenden ihren Text mit einer Art tragischer Tiefgründigkeit vortrugen. Sie hatten ihr Bestes versucht, aus alten Ziegenfellen und Faßdauben Trierenkostüme zu fertigen, doch die jungen Männer, die sie trugen, hatten keinen blassen Schimmer, was sie darstellen sollten, und offenbar hatte es auch niemand für angebracht gehalten, es ihnen zu verraten. Deshalb mußten sie angenommen haben, irgendwelche geheiligten Ornate darzustellen, und bewegten sich dementsprechend feierlich. Im Verlauf des Stücks erkannte ich genau, was mit ihm nicht stimmte, warum die Dialoge so flach und die Chöre bei den Zuschauern so gnadenlos durchgefallen waren. Es steckte ganz einfach von allem zuviel drin: der zwanzig Jahre währende Wunsch, ein Komödiendichter zu sein, in ein kleines Stück gestopft. Deshalb waren auch die Witze über sämtliche Köpfe hinausgeschossen; wie Xerxes’ Pfeile hatten sie die Sonne ausgelöscht. Was die Chöre anging, waren sie viel zu kompliziert, so daß selbst die Göttin Athena Schwierigkeiten gehabt hätte, ihnen beim ersten Hören zu folgen. Niedergeschrieben und mit Muße langsam gelesen, schien das Stück natürlich vor Geist zu sprühen. Auf der Bühne hingegen blieb davon nichts als ein bedeutungsloser Wortschwall übrig.
    Nachdem der Chor würdevoll von der Bühne geglitten war, lag deshalb aufrichtige Rührung in meiner Stimme, als ich mich bei den Prinzen bedankte.
    »Es war wirklich phantastisch«, freute ich mich unverhohlen. »Ihr wißt nicht, welche Freude ihr mir damit bereitet habt.«
    Jason schien meine Reaktion etwas zu verblüffen – ich glaube, er hatte eine kleine Entschuldigungsrede vorbereitet –, aber Alexander strahlte übers ganze Gesicht und entgegnete, es sei ihnen eine Ehre gewesen. Woraufhin ich erwiderte, daß es ganz im Gegenteil eine Ehre für mich sei, und ich glaube, wir würden noch heute dort sitzen, wenn sich Jason nicht gelangweilt und vorgeschlagen hätte, etwas zu

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