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Der Ziegenchor

Der Ziegenchor

Titel: Der Ziegenchor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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nach unserer Rückkehr verraten hätten, was ich über sie erzählt hatte.
    »Und jetzt, erzähl uns alles über die Komödie«, forderte Alexander mich auf, nachdem sich Jason an einem Mundvoll Schweinebraten verschluckt hatte und deshalb für einen Moment verstummt war. »Denn eigentlich sind wir nur an Komödien interessiert. Ich meine, die Tragödie ist auf ihre Weise ja ganz nett, aber…«
    Also mußte ich die ganze Geschichte noch einmal von vorn durchgehen und alles über Ameipsias und Piaton und Kratinos und Aristomenes und Aristophanes erzählen – Phrynichos erwähnte ich lieber erst gar nicht, um Jason nicht durcheinanderzubringen –, bis meine Stimme heiser und mir vor lauter Nicken schwindlig war. Als die Prinzen so betrunken waren, daß sie endlich weggetragen werden mußten, hatte ich für den Rest meines Lebens genug vom Theater. Dennoch hatten sie so lange durchgehalten, um eine Zusammenfassung der Handlung meines nächsten Stücks von mir zu verlangen, so daß ich wie wild improvisieren mußte.
    In jener Nacht schlief ich gut, obwohl ich inmitten des ganzen Silbergeschirrs das Gefühl hatte, mich in der Schatzkammer eines Tempels eingeschlossen zu haben, und als wir am nächsten Tag herbeigerufen wurden, fühlte ich mich einigermaßen wiederhergestellt, was ja auch etwas wert war.
    Die Thessalier essen tagsüber nicht viel, doch bei uns Athenern rechnete man anscheinend damit, daß wir vor Hunger umkämen, sobald wir die Augen öffneten. Deshalb mußten wir erst einmal gebratenes Wildbret und gekochtes Rindfleisch zu uns nehmen, bevor wir zu der groß angekündigten Überraschung auf dem Zeusfeld übergehen konnten. Theoros gelang es, einen dieser Haut-und-Knochen-Hunde anzulocken, die überall in Thessalien herumlaufen und an den wir den Großteil des Fleischs verfütterten, aber selbst er schaffte nicht alles.
    Das Zeusfeld liegt etwa eine Stunde zu Pferde in nördlicher Richtung von Larisa und bietet einen atemberaubenden Blick auf den Olymp. Um dahin zu gelangen, ritten wir jedoch durch eine Gegend, die, wie uns unsere Begleiter versicherten, typisch für Thessalien sei: felsig, kahl und unfruchtbar, von hungernden Menschen bevölkert, die praktisch die Sklaven der herrschenden Familien sind. So, wie mir in Larisa ein Reichtum begegnet war, wie ich ihn noch nie zuvor gesehen hatte, war mir noch nie eine solche Armut widerfahren, wie sie diese Penesten ertragen mußten, und das obwohl sie vom selben Volk ihrer Herren abstammen und somit eigentlich gleichberechtigte Bürger sind. Sie liefen immer wieder zu uns herüber, während wir vorbeiritten, und bettelten uns um Essen an (ich glaube nicht, daß sie etwas von Geld wußten), und die Reiter stießen sie jedesmal mit der flachen Klinge ihrer Säbel unsanft beiseite. Der mir nächste Reiter sagte, dazu gehöre einiges Geschick, und er bot mir an, es mir beizubringen, falls wir auf weitere Bettler stoßen sollten, aber ich entgegnete, ich hätte eine Muskelzerrung in der Schulter.
    Bei unserer Ankunft sahen wir als erstes eine Art hufeisenförmigen Erdwall. Was immer das Gebilde darstellen sollte, es war nicht ganz fertig, denn Männer mit Körben voller Erde auf den Schultern hasteten umher, wobei sie von anderen Männern, die zu Pferde saßen, angebrüllt und mit Olivenzweigen geschlagen wurden. Dann ritten Alexander und Jason auf riesigen weißen Hengsten auf uns zu und hießen uns im Theater willkommen.
    Ich fiel beinahe vom Pferd.
    »Nächstes Jahr werden wir es in Stein einfassen, und dann wird es hier genauso wie im Theater von Dionysos sein«, verkündete Jason stolz.
    Irgendwie hegte ich meine Zweifel daran, aber dann erinnerte ich mich daran, daß ich hier war, um die Interessen Athens wahrzunehmen, und erwiderte, es werde wahrscheinlich sogar noch besser werden.
    »Genaugenommen wäre es mein größter Wunsch, hier ein Stück aufführen zu dürfen«, fuhr ich fort. »Es ist so…« Mir fielen keine passenden Worte ein, und deshalb fuchtelte ich ersatzweise mit den Händen in der Luft herum.
    Da kicherte Jason, was genau wie eine der Wasserleitungen bei den neun Quellen klang, wenn sie von Blättern verstopft ist, und mir schwante Schreckliches.
    »Dann ist dein Wunsch so gut wie erfüllt«, entgegnete Jason. »Wenn du so freundlich wärst, Platz zu nehmen, werden wir sehen, was wir tun können.«
    Ich stieg langsam vom Pferd und folgte ihm in den Erdwall hinab – selbst heute noch weigere ich mich, diese übergroße Senkgrube ein

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