Der Ziegenchor
Autor. In der Rede bat ich die Bürger Athens, die Feldzüge in Sizilien (um die sich, wie Sie bereits erraten haben werden, die ganze Komödie dreht) nicht außer Kontrolle geraten zu lassen. Sie seien nichts anderes als Staatspiraterie, und selbst wenn man per se nichts an ihnen aussetzen könne, sei es pure Dummheit, so ein ehrgeiziges Projekt zu beginnen, bevor man die Spartaner nicht dauerhaft in ihre Schranken verwiesen habe. Wenn Sparta erst mal ein Trümmerhaufen sei, ließ ich vom Chorführer verkünden, würden wir noch genug Zeit zur Eroberung des Universums haben; doch bis dahin sollten wir mit der momentan anstehenden Aufgabe fortfahren. Ich erinnerte sie alle an das gewaltige Fiasko zur Zeit des berühmten Kimon, als wir unser gesamtes Heer und die ganze Flotte auf Vergnügungsfahrt in die Nähe von Ägypten aussandten, anstatt uns in Ionien unseren Vorteil gegenüber den Persern zu sichern, woraufhin prompt die meisten unserer Leute in den Sümpfen vernichtet wurden. Sollte so etwas zum gegenwärtigen Zeitpunkt passieren, ließ ich weiter verlauten, dürften wir fast zwangsläufig den Krieg und somit unser Reich verlieren, und die Spartaner würden die Langen Mauern zwischen Stadt und Hafen einreißen und uns ein ungeschütztes Athen hinterlassen.
Als ich (weil ich noch jung und naiv war) die Komödie Kratinos zeigte, reagierte er recht mürrisch und übellaunig, was bedeutete, daß er das Stück gut fand. Glauben Sie niemals der allgemein vorherrschenden Meinung, daß wirklich große Dichter jederzeit bereit seien, begabte junge Talente zu fördern. Je besser ein Dichter ist, desto paranoider ist seine Angst vor Konkurrenten. Trotzdem bedrängte ich Kratinos, irgendeinen Kommentar zu meinem Stück abzugeben, und schließlich räumte er ein, daß ich bei den Dionysien durchaus die Chance auf einen zweiten Platz haben könnte – jedenfalls in einem schlechten Jahr, falls alle anderen Teilnehmer ausschließlich Farcen aufführen würden.
»Aber bring um Himmels willen bloß diese Parabase in Ordnung!« ermahnte er mich. »Dieser ganze sizilianische Kram ist nichts weiter als ein Haufen Mist. Wenn du von einer Sache abrätst, dann mach etwas daraus, das aller Wahrscheinlichkeit nach als Antrag in der Volksversammlung gestellt wird, sonst vergeudest du nur deine Zeit. Kein normaler Mensch zöge jemals ernsthaft in Erwägung, Sizilien zu erobern.«
Ich glaube, die Götter müssen eine Abneigung gegen vernünftige Menschen haben.
6. KAPITEL
Erinnern Sie sich noch an Diogenes, Nachkomme von Zeus und Sohn des Skythen, der eine Affäre mit Myrrhine hatte, der Frau des frommen Euergetes? Nun, Diogenes’ ältester Sohn hieß Diogenides (›Sohn des Nachkommen von Zeus‹) und war am selben Tag im gleichen Jahr wie ich zur Welt gekommen. Natürlich kannte jedermann die wahre Geschichte über seine Abstammung, und deshalb erhielt er den Spitznamen ›der kleine Zeus‹.
Ich lernte diesen ungewöhnlichen Menschen kennen, als ich in Phyle zum erstenmal eigene Oliven erntete; er war einer dieser umherziehenden Tagelöhner, die stets auf der Suche nach Arbeit waren. Vielleicht überrascht es Sie, daß der Abkömmling eines solch edlen Geschlechts gezwungen war, für einen anderen Mann zu arbeiten, da das (abgesehen von echter Sklaverei) die schlimmste Erniedrigung ist, die einem menschlichen Wesen widerfahren kann. Man denke nur an Achilles’ Worte in der Odyssee, als er dem Ruhm entsagt:
Lieber möcht’ ich fürwahr dem unbegüterten Meier,
Der nur kümmerlich lebt, als Tagelöhner das Feld bau’n,
Als die ganze Schar vermoderter Toten beherrschen.
Doch der kleine Zeus war Opfer eines jener Familienunglücke geworden, die auch die achtbarsten Häuser zugrunde richten können. Sein Vater hatte sieben Kinder gehabt, allesamt Söhne, von denen keiner im Kindesalter gestorben war.
Diogenes hatte alles getan, was in seiner Macht stand, um diesen beachtlichen Kinderreichtum zu verringern. So hatte er seine Söhne dazu erzogen, Gefallen an Wildschweinjagd, Pferderennen und anderen aristokratischen, aber gefährlichen Sportarten zu finden. Da sie jedoch alle ein natürliches Talent bewiesen, überlebten sie samt und sonders. Noch in ihrer frühesten Jugend wies Diogenes sie an, die Schafe auf ständig von Wölfen heimgesuchten Berghängen zu bewachen; aber seine Söhne töteten sämtliche Wölfe mit ihren Steinschleudern und wurden Helden. Schließlich zog Diogenes während der Pest ins Zentrum des
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