Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Ziegenchor

Der Ziegenchor

Titel: Der Ziegenchor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
Vom Netzwerk:
von Sklaven besitzen, hätten jeweils einen ganz bestimmten Sklaven, der nicht nur entlaufen ist, sondern zusätzlich seine Mitsklaven angestiftet hat, es ihm nachzutun und obendrein ihrem Herrn die Kehle durchzuschneiden. Nikias und Kallias sind rechtschaffene, fromme Männer; aber würden sie nur einen Moment zögern, den betreffenden Sklaven auspeitschen und zu Tode foltern zu lassen? Natürlich nicht. Die beiden sind reich genug, um solch einen Verlust verkraften zu können, doch verführen sie nicht so, wäre das praktisch eine Aufforderung für die anderen Sklaven, ebenfalls zu entlaufen und ihre Herren umzubringen. Und ihr, Mitbürger von Athen, habt mehr Sklaven als alle anderen auf der Welt. Den Verlust könnt ihr verkraften, aber ihr könnt es euch nicht leisten, Landesverrat zu dulden. Wenn ihr also auf euren Staat, eure Demokratie und euer eigenes Leben Wert legt, dann stimmt für meinen Antrag. Wenn ihr darauf jedoch keinen Wert legt und bereit seid, den Spartanern und Korinthern euren wahren und einzigen Besitz zu übergeben, dann stimmt dagegen.«
    Natürlich stimmten wir alle für ihn, jubelten ihm zu, bis unsere Kehlen heiser waren, und erzählten jedem, der das Pech hatte, nicht dabeigewesen sein zu dürfen, welch ein Fest der Redekunst und des gesunden Menschenverstands er verpaßt habe. Aber wir sind Athener, und als tags darauf jemand forderte, den Beschluß noch einmal in Ruhe zu überdenken, taten wir das und hoben ihn auf. Da wir sowohl für als auch gegen den Antrag gestimmt hatten, schien die allgemeine Ansicht zu sein, daß wir es entweder beim ersten- oder beim zweitenmal richtig gemacht haben mußten, was sehr schlau von uns war.
     
    Kleon bekam also im Fall von Mytilene nicht seinen Willen. Aber diese Abstimmungsniederlage schadete ihm ebensowenig wie alle Angriffe, denen er in fast sämtlichen Komödien ausgesetzt wurde. Die wirkliche Prüfung seiner Fähigkeiten kam erst viel später, ungefähr zu der Zeit, als ich Phaidra heiratete und nach Samos ging.
    Es fing alles damit an, daß Demosthenes, eigentlich ein hervorragender, schneidiger und außergewöhnlich erfolgreicher Feldherr, einen wichtigen und relativ einfach zu bewerkstelligenden Feldzug in Atolien völlig verpfuschte. Danach hatte er viel zuviel Angst, nach Hause zu kommen, weil er verbannt oder hingerichtet worden wäre. Deshalb hielt er sich in der Nähe von Naupaktos auf und wartete darauf, daß sich das Blatt für ihn zum Besseren wendete – und es wendete sich tatsächlich. Bevor er richtig begriff, wie ihm geschah, gelang es ihm, in Messenien einen denkwürdigen Sieg zu erringen und unbehelligt heimzukehren.
    Doch wußte Demosthenes einfach nicht, wann man lieber die Finger von etwas lassen sollte, und darum überredete er die Athener, ihm vierzig erstklassige Kriegsschiffe zu geben, die er ganz nach eigenem Belieben in und um die Peloponnes herum einzusetzen gedachte. Denn er hatte an der messenischen Küste einen Ort namens Pylos gesehen; einst die Heimat des sagenumwobenen Königs Nestor, mittlerweile jedoch ein gottverlassener Flecken, an dem nicht viel mehr dran war als eine gewisse natürliche Form, die außer Demosthenes niemand aufzufallen schien. Zwar forderten ihn die anderen Heerführer auf, sich nicht so unglaublich dumm zu verhalten und ihnen lieber bei dem ein oder anderen erholsamen Feldbrand Gesellschaft zu leisten, aber Demosthenes wollte sich unter keinen Umständen von seinem geheimnisvollen Vorhaben abbringen lassen. Da er der Auffassung der anderen Feldherrn allerdings nicht offen widersprechen konnte, ließ er sich in aller Stille in Pylos nieder und las Homer, und seine Kollegen sagten sich von ihm los und fuhren mit ihrem kriegerischen Handwerk ohne ihn fort. Entweder aus Langeweile oder weil ihnen Demosthenes’ Idee in Fleisch und Blut übergegangen war, machten sich seine Soldaten daran, Pylos mit sämtlichen Baumaterialien, die gerade zur Hand waren, zu einer Festung auszubauen.
    König Agis von Sparta – der sich gerade auf dem Nachhauseweg befand, nachdem er von ihm und seinen Heerscharen unter anderem die prächtigsten jungen Bohnen, die ich jemals gezogen hatte, verbrannt worden waren, hörte von den Vorgängen in Pylos und bekam fast einen Schlaganfall. Ihm war nämlich ebenfalls die natürliche Form von Pylos aufgefallen, und auch er hatte vorgehabt, demnächst dort etwas zu unternehmen. Vielleicht kamen ihm meine jungen Bohnen in die Quere; sicherlich erkannte er: Hatte sich erst

Weitere Kostenlose Bücher