Der Zimmerspringbrunnen
anzufangen. Sogar meine Laubsägearbeiten ruhten. Obwohl – es juckte mich schon in den Fingern: Ein paar Buchstützen nämlich hätte ich damals ganz gut gebrauchen können, um wenigstens auf meinem Tisch Ordnung zu halten.
Julia schien anfangs von meinem Arbeitseifer nicht so recht überzeugt zu sein; auch hielt sie das Ganze wohl eher für eine Spielart der »Rotkreuz-Machenschaften« – bis dann tatsächlich, und auch für mich überraschend, die erste Panta-Rhein-Überweisung eintraf.
Einmal in dieser Zeit kam sie abends zu mir in den Hobbyraum. Das war immerhin ungewöhnlich, sonst verbrachten wir die Abende kaum noch gemeinsam.
Ich saß gerade über einer äußerst kniffligen Konstellation. Zur Vereinfachung war sie schematisch dargestellt: zwei Kreise und ein Kreis mit Kreuz, verteilt in einem Rechteck (dem Zimmer). Mit anderen Worten: Der Vertreter (der Kreis mit Kreuz) steht zwei Kunden (einem Ehepaar zum Beispiel) gegenüber. (In der Fachliteratur wird das in dieser Grundform auch als der »klassische Dreieckskonflikt« bezeichnet.)
Gerade hatte ich mit dem schreiend gelben Markierstift die sich aus dieser Situation ergebende Grundfrage unterstrichen, nämlich: »Wem wende ich meine Aufmerksamkeit zu?« – da war Julia in den Hobbyraum gekommen, hatte einen Augenblick hinter mir gestanden und sich dann auf den Hocker neben meinem Tisch gesetzt. Ich weiß nicht, ob sie – als sie hinter mir stand – etwas von meinem Studienmaterial gelesen hatte; sie sah mich jedenfalls sehr nachdenklich an.
Was mich unsagbar berührte: Als sie ihren Ellbogen auf dem Tisch abstützte, waren einige der Papiere, die ich ausgelegt hatte, verrutscht. Sofort nahm sie den Arm herunter und schob die Papiere wieder in ihre Ausgangslage. Da fühlte ich mich, das erste Mal seit Jahren, von ihr wieder ernstgenommen; und wenn das nicht zu »bühnenmäßig« gewesen wäre, hätte ich sie am liebsten stumm in die Arme geschlossen. So aber lehnte ich mich wenigstens gesprächsbereit in meinem Stuhl zurück, und auf ihre Frage, wie ich mir denn meine weitere berufliche Zukunft vorstellte, hatte ich dann auch nach kurzem Überlegen und m. E. sehr richtig und zutreffend mit »Mal abwarten« geantwortet. Danach kam das Gespräch auf unerklärliche Weise wieder für längere Zeit zum Stillstand – bis Julia damit anfing, sich bei mir über Hugelmann (!) auszuheulen. Sollte das eine vertrauensbildende Maßnahme sein, daß wir nun gemeinsam Front gegen Hugelmann machten? Wie stellte sie sich das vor? Ich jedenfalls stellte auf Durchgang.
Als sie gegangen war, sofort Eintragung ins Protokollbuch: »Heute, Julia in meinem Reich! – Gespräch in sachlich-aufgeschlossener Atmosphäre über meine berufliche Perspektive. Dann jedoch: ›Warum sprichst du nicht mehr mit mir?‹ – Beinahe wäre ich darauf hereingefallen, erkannte aber rechtzeitig: das ist eine Fangfrage. Blieb also felsenfest ruhig.
Anschließend: Beschwerden der J. über den H., der sie angeblich ausbeute usw. Meinerseits: Funkstille dazu. Wie ich überhaupt finde – dies als Fazit! – : Es ist eine Unsitte, wenn Ehefrauen bei ihrem Ehemann das suchen (Verständnis zum Beispiel), was sie bei ihrem Geliebten nicht finden. –
Hugelmanns Handlangerin muß sich schon etwas anderes einfallen lassen!«
Der Gerechtigkeit halber muß ich aber festhalten: Julia begann damals sogar wieder damit, abends ein bißchen Mittagessen für den nächsten Tag vorzukochen. Das war wie früher, in meiner Fernstudienzeit.
Denn Fakt war: Je mehr mein Selbststudium gedieh, desto unaufhaltsamer entglitt mir der Haushalt. Ich nahm ihn einfach nicht mehr wahr. Freitag, wenn er mal mußte, mußte sich schon auf herzerschütterndes Winseln verlegen, um auf sich aufmerksam zu machen. Dabei wußte er genau, daß ich mich auf Extratouren außerhalb der Morgen- und Abendrunde nicht mehr einlassen würde. Schon gleich am frühen Morgen heftete er sich an meine Fersen und blieb die ganze Zeit, im Bad, in der Küche, mir auf der Spur, damit ich ja nicht ohne ihn losginge und allein die Runde machte. Auch der Staub vermehrte sich wieder! Lange genug hatte ich ihn ganze Vormittage lang vergeblich verfolgt. Inzwischen war ich zu der Überzeugung gekommen: Staub, der längere Zeit einen Ort besetzt hält, erwirbt sich damit eine gewisse Existenzberechtigung.
Sogar die Blumen ließ ich hängen!
In dieser Phase gerieten übrigens wie von selbst die Wendungen »Kein Problem« und »Alles
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