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Der Zimmerspringbrunnen

Der Zimmerspringbrunnen

Titel: Der Zimmerspringbrunnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Sparschuh
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den Fenstern war bis auf ein Halma-Spiel (leider unvollständig), einFahrplanheft der Deutschen Bundesbahn aus dem Jahre 1988 (Winterhalbjahr), eine zerlesene Floristenzeitschrift und einen Fotobildband »Du, unsere schöne Heimat – Der Hochschwarzwald« leider nichts zu finden. Also pendelte ich zwischen den bunten Fernsehprogrammen, die aus der grau-grünen Topfpflanzenecke herüberflimmerten, hin und her.
    Auf dem französischen Kanal gab es eine Sportsendung, bei der dicke Männer sich abwechselnd gegenseitig auf die Matte warfen. Das war jeweils mit Applaus verbunden. Das Bild war aber schlecht. Gleich daneben eine Talkshow. Leider begriff ich nicht, worum der Streit ging. Einer der Anwesenden, eine Art Priester, begriff es anscheinend auch nicht – denn plötzlich redeten alle wütend auf ihn ein, richtig giftig, besonders eine rothaarige Frau, die immer wieder beteuerte »Ich habe es selbst erlebt« und »Die da oben stecken doch alle unter einer Decke«, worauf er sie aber nur ungläubig anschaute.
    Noch einen Klick weiter gab es einen deutschen Film, wahrscheinlich aus den siebziger Jahren; man sah es an den Autos. Das fand ich eher nicht so spannend. Bald aber merkte ich, daß es sich hier doch um einen Sex- oder wenigstens Aufklärungsfilm handelte. Also blieb ich dran. Ein Sprecher erzählte von verschiedenen »Fällen«. Ein Wohnwagen auf einem Campingplatz war nun zu sehen. Zum Beispiel, sagte der Sprecher, der »Fall Monika F.«. Der Wohnwagen begann hin und her zu schaukeln. – So ging das den ganzen Film. Über den Zeltplatz schlichen Teenager und Bademeister. Sie verdrehten bedeutungsvoll die Augen und wiesen sich immer wieder gegenseitig auf den Wohnwagen hin. Darin vor allem bestand die Handlung dieses Films, der übrigens unsynchronisiert, in bayrischer Sprache, lief. Wiederein Schnitt, wieder der vor sich hinrammelnde Wohnwagen …
    Mein Gott! Ich stöhnte auf. Ich dachte an Julia, an zu Hause. Und auf einmal, ich wußte nicht, wie, kam es über mich, und ich mußte hier, im Aufenthaltsraum des »Föhrentaler Hofs«, unter dem imitierten Holzbalken der Decke, eingerahmt von Schwarzweißfotografien des Schwarzwalds, vor mir auf dem Tisch einen verjährten Fahrplan, dem längst alle Züge davongefahren waren – mußte ich plötzlich, ohne mich dagegen wehren zu können, wie zwanghaft, einen Satz sagen, der mir so bisher noch nie in meinem Leben von den Lippen gekommen war: »Ich liebe meine Heimat, die Deutsche Demokratische Republik.«

– Das »Ja – Aber«-Prinzip
Ein wenig geglückter Versuch –
    Ich bereitete mich auf meinen Einsatz vor.
    Mein neues Leben … Es begann nun schon frühmorgens – wenn Julia zur Arbeit gefahren war – damit, daß ich mich jetzt nicht mehr nach Herzenslust rasierte, daß Freitag sich mit einem kurzen Auslauf vor die Haustür begnügen mußte und daß auch die Blumenrunde bis zum späten Nachmittag zu warten hatte – sofort, nach kurzer Besinnungsphase auf dem Sofa, ging es gewissenhaft an die Arbeit!
    Auf dem Tisch im Hobbyraum lagen die Studienhefte ausgebreitet. Strüver hatte sie mir beim Abschied in Bad Sülz mitgegeben. Zwar sei mein »Achtungserfolg« erstaunlich gewesen, Vertiefung könne aber dennoch nicht schaden. Bei den Heften (Strüver nannte sie »Frontberichte«) handelte es sich um eine Vertreterratgeberreihe für alle Situationen. Es war wie in meiner Zeit als Fernstudent: ich las erst einmal quer, dann unterstrich ich die Stellen, die wichtig sein konnten (aber was konnte im Ernstfall nicht alles wichtig sein!) – wenn ich dann etwa drei Viertel des Heftes unterstrichen hatte, begann ich, Auszüge zu machen und Zusammenfassungen zu schreiben. Bald schon, so hatte Strüver gemeint, würden sich erste Euphoriezustände einstellen, das sogenannte Überfliegergefühl (»Jetzt kann ich alles verkaufen! Bausparverträge in einem Seniorenheim –kein Problem«). Das wäre dann der richtige Zeitpunkt, wieder zu landen und in die harte Schule der Praxis zu gehen.
    Daß ich dort, im Vertreterleben, meine ersten Schritte gemeinsam mit Strüver machen würde, erleichterte und erschwerte die Sache zugleich. Zwar konnte ich mich darauf verlassen, daß im Notfall Strüver schon eingreifen würde, aber daß er, wie im Seminar, unerbittlich sein prüfendes Auge auf mich richten würde – darauf war ebensosicher Verlaß!
    Also blieb mir nichts anderes übrig, als meine Lektion zu lernen und, wenn ich damit fertig war, wieder von vorn

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