Der Zimmerspringbrunnen
klar« in meinen Wortschatz; später sollten sie mir noch gute Dienste erweisen.
Was Julia betrifft, sie schien ganz froh darüber zu sein, daß das Ressort Blumengießen wieder an sie übergegangen war. Die abendliche Runde durch die Wohnung stiftete so etwas wie häusliche Atmosphäre.
Abends im Bett las sie dann meistens noch ein bißchen, vor allem das Buch eines Franzosen. Sie hatte es sich wegen des Titels gekauft.
Dazu, Eintrag ins Protokollbuch: »Neuerliche Lektüre der J.: ein Buch unter dem Titel: ›Auf der Suche nach der verlorenen Zeit‹. Unklar ist, ob eine unverhohlen provokatorische Absicht vorliegt, wenn seitens der J. besagtes Buch stets so auf dem Nachttisch plaziert wird, daß mir der Titel unbedingt ins Auge springen muß. – Es stellte sich übrigens bei einer Routinekontrolle des Nachtschränkchens heraus, daß es sich da insgesamt um 7 (in Worten: sieben) Bände handelt! –
Meine Meinung dazu, obgleich ich den Inhalt des genannten ›Werkes‹ ebensowenig wie den Herrn Verfasser kenne: im Verlaufe einer derart aufwendigen Suchaktion verliert man wahrscheinlich auch noch die restliche Zeit. – Einschlägige trübe Erfahrungen mit hingedösten Nachmittagen auf dem Sofa, Stubenfliege etc. …
Unverfänglich von mir auf diese ihre jetzige Lektüre hin angesprochen, äußerte die J. sinngemäß: › Auf der Suche nach der verlorenen Zeit müßte Pflichtlektüre für alle Ex- DDR ’ler werden.‹ Ich stellte mich interessiert und fragte, wovon es denn handele. – ›Das könne man schwer sagen.‹ (Letzteres stimmt übrigens haargenau mit dem Eindruck überein, den ich, als Julia zur Arbeit war,bei dem vergeblichen Versuch hatte, mir einen kurzen Überblick über das Ganze zu verschaffen.)«
An einen Tag in dieser Zeit, es war ein Mittwoch (im Protokollbuch wohlweislich jedoch als Freitag, als »schwarzer Freitag« verzeichnet) erinnere ich mich deutlich …
Strüver hatte am frühen Vormittag angerufen und mitgeteilt, daß es nun bald losgehe; ich solle mich bereithalten, er würde demnächst für länger nach Berlin kommen.
Nach dem Anruf hatte ich meine Unterlagen geordnet, alles noch einmal durchgesehen. Dabei war mir aufgefallen, daß ich das Kapitel »Einwandbehandlung« – ich weiß gar nicht, warum – bisher sträflich vernachlässigt hatte. Ich mußte es immer überblättert haben. Dabei – Vertiefung war hier tatsächlich angeraten. Denn wenn Julia beispielsweise etwas gegen mich einzuwenden hatte, ließ ich mich doch nicht auf Diskussionen ein, sondern ließ das einfach von mir abprallen. Nachholbedarf gab es hier also durchaus.
Als Illustration hierzu eine einschlägige Notiz im Protokollbuch – Anläßlich einer Auseinandersetzung, bei der Julia meine angebliche »Entschlußlosigkeit« verurteilt hatte, und ich zu diesem verleumderischen Vorwurf selbstredend nur schweigen konnte, äußerte Julia (Zitat): »Deine Eigenliebe grenzt schon beinahe an Inzest!«
Sofort ging ich also an die Arbeit, die Zeit verging. Doch ehe ich das Stoffgebiet auch nur annähernd in der gewohnten Manier aufbereitet hatte, war Mittag längst vorüber. Ich aß nur schnell ein paar Spaghetti mit Ketchup gleich aus dem Topf. Freitag stellte sich auf die Hinterbeine und wollte auch an den Topf. »Pfoten weg!« herrschte ich ihn an. Dann stellte ich den Topf unter Wasser und begab mich sofort zurück in den Hobbyraum. Freitag folgte mir auf dem Fuß, doch ich kümmerte mich nicht um ihn, sondern sperrte ihm die Tür vor der schnüffelnden Nase zu.
Kaum wieder an die Arbeit gesetzt, noch gar nicht richtig hineinvertieft, gab es draußen ein Klirren, dann ein Scheppern. Ein kurzes Jaulen. Stille.
Ich sprang auf, hinaus.
Die Küche, ich blieb in der Tür stehen, bot ein Bild des Grauens!
Unter dem Küchentisch saß Freitag. Er hechelte mir von dort aus schuldbewußt zu. Ich konnte nichts sagen, ich schrie nur immer: »Freitag! Freitag! Was hast du gemacht, du Hund!«
Er aber schwieg.
Was allein ihn vor meinem Zugriff schützte – am liebsten hätte ich mich auf ihn gestürzt und die Wahrheit aus ihm herausgeprügelt –, war die rote, schmierige Masse, die sich zwischen Tür und Tisch auf dem Fußboden breitgemacht hatte.
Als ich mich halbwegs wieder in der Gewalt hatte – noch mußte ich mich zwar am Türrahmen abstützen und ein nervöses Zucken ging als Nachbeben durch meine linke Gesichtshälfte –, versuchte ich die Spuren, die unter den Tisch führten, zu lesen.
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