Der Zirkus: Ein Jahr im Innersten der Politik (German Edition)
allein durch Europa, nur zwei Mitarbeiter der Internationalen Abteilung der SPD begleiten ihn, aber das sind nicht wirklich seine Mitarbeiter, es sind die Diplomaten der Partei, und sie haben schon viele Vorsitzende kommen und gehen sehen. Besonders oft erwähnen sie Franz Müntefering. Sie sind effizient, sympathisch, sehr kenntnisreich, diskret und pflegen einen speziellen Humor. Eine ihrer Anekdoten handelt von einem Generalsekretär der SPD , der erst kurz im Amt und relativ unbekannt war. Er sollte Peter Mandelson empfangen, den EU -Kommissar, der als Berater von Tony Blair berühmt geworden war, ein Meister der dunklen Kunst der Medienbeeinflussung. Der lampenfiebrige Genosse war sehr eingeschüchtert, brachte die Begrüßung dann aber mit Bravour hinter sich, man bemerkte gar nicht, dass er beinahe umkam vor Nervosität – dann hörte jemand Mandelson anerkennend bemerken: »What a powerful man.« Darüber kugeln sich die beiden immer wieder vor Lachen. Man muss wohl dabei gewesen sein.
Ihre Sicht der Dinge, die Sicht des Apparats einer der ältesten und größten Parteien Europas, ist eine andere als die, die wir nur als Beobachter kennen: In Europa ist die deutsche Sozialdemokratie eine wichtige politische Kraft, schon allein wegen der Bundesratsmehrheit, der Regierung in großen Bundesländern und der Möglichkeit einer großen Koalition ist die SPD ein wichtiger Ansprechpartner. »In Europa wollen eigentlich alle was von uns.« Die Parteidiplomaten versorgen den Kandidaten mit den politischen Informationen zu den Ländern, aber sie sind weder seine Pressesprecher noch sonst Steinbrückianer. In der Öffentlichkeitsarbeit können sie ihm nicht helfen.
Peer Steinbrück sitzt in London einer nun merklich angewachsenen Zahl von Journalisten gegenüber. Eigentlich hat er gute Laune, denn Lord Turner, der Vorsitzende der britischen Finanzaufsichtsbehörde FSA , hat ihm erzählt, man werde wohl auch bald in England das Trennbankensystem einführen. Steinbrück hat es lange in Deutschland verteidigt, gegen die Widerstände der angelsächsischen Wirtschaftsliberalen. Damals galt es als gestrig – und nun diese ironische Wendung in der City.
Doch die Journalisten interessiert das kaum. Sie kommen nicht aus den Finanzressorts, sondern schreiben über die Sozialdemokratie oder eben über Steinbrück. Eine Veteranin der Berichterstattung fragt gleich zu Beginn und mit einer Miene, als wüsste sie mehr: »Darf man fragen, wie es zu der Reise eigentlich kam?« Er: »Ist das wichtig?« Und nun wird es kompliziert, an diesem Abend wie an allen folgenden.
Lafontaine und Schröder, erst recht Helmut Schmidt und Willy Brandt hatten echte Fans unter den Journalisten, auch solche, die Freunde und Kampfgefährten waren. Heute läuft das anders. Wer der SPD nahesteht, muss noch lange kein Steinbrückanhänger sein, es gibt Steinmeierfans und Gabrielfreunde, die Steinbrücks Kandidatur skeptisch sehen.
Es muss zwar irgendwo im Lande ein Steinbrückmilieu geben, etwa die Leute in der Kamener Halle, kulturell konservative Facharbeiter und linksliberale hanseatische Bildungsbürger, aber es ist scheues Wild, man hört und sieht sie nicht. Ich habe noch im Ohr, wie ein älterer Herr, vielleicht ein Verleger oder Buchhändler, auf einem Fest neben mir stand und einem ausländischen Gast, vielleicht einem Schriftsteller, mit einer mich überraschenden Überzeugung über Steinbrück sagte: »There is no other, there is absolutely no other.« Aber wann und wo? Ich habe es völlig vergessen, und das ist ein Zeichen der Zeit. Wer auch immer so sehr für ihn als Kanzlerkandidat war, in den entscheidenden ersten Monaten des Jahres seiner Kandidatur war nichts mehr von ihnen zu hören oder zu sehen.
Die Steinbrück begleitenden Journalisten sind weder Feinde noch Freunde. Sie wollen von ihm eine verwendbare Aussage, etwa die genaue Strategie der SPD im Umgang mit Zypern, aber nicht im Hinblick auf das, was für die Zyprer gut wäre, sondern im Hinblick auf den Umgang mit Merkel. Oder sie wollen, dass er etwas Verheerendes sagt, denn längst gibt es auch dafür eine Währung, Steinbrück-Patzer. Die abendlichen Runden während der Tour erinnern an einen Laborversuch: Man drückt dem Kandidaten so lang auf den Bauch, bis entweder eine Info oder wenigstens ein Spruch, eine Panne dabei herauskommt.
Peer Steinbrück kann diese Sucht nur bedingt bedienen. Er operiert ganz ähnlich wie in der Mietenfrage, nuanciert und realistisch. Er hat
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