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Der Zirkus: Ein Jahr im Innersten der Politik (German Edition)

Der Zirkus: Ein Jahr im Innersten der Politik (German Edition)

Titel: Der Zirkus: Ein Jahr im Innersten der Politik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nils Minkmar
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Differenz zwischen den Berufen. Dies ist kein Spiel, bei dem sich zwei Mannschaften mit gleichen Mitteln gegenüberstehen, und wenn man es so sieht, dann wäre es höchst gefährlich, ja leichtsinnig, in einer Hotelbar nach einem langen Arbeitstag Frage auf Frage zuzulassen. Die Fragen betreffen längst nicht mehr den Grund der Reise und die politischen Gespräche, sondern eigentlich alle Bereiche. Ich erwartete irgendwann die Frage, ob denn das Radio in Steinbrücks Studenten- WG auch angemeldet war.
    Eine Journalistin fragt, wie viel Schlaf er denn so brauche, beispielsweise auf so einer Reise. Der Kandidat antwortet offen, hier komme er mit ganz wenig aus, einige Stunden würden genügen, und fügt an: »Aber ich freue mich, wenn ich am Wochenende mal neun Stunden ausschlafen kann.« Auf dem Weg aus der Bar freut sich die Journalistin über die Antwort: »Hast du das gehört? Neun Stunden, so viel hat die Kanzlerin nie. Er ist einfach nicht fit genug für den Job. Ein alter Mann eben!«
    Am folgenden Tag steht eine Begegnung mit dem Vorsitzenden der Labour-Partei Ed Miliband an. Vor dem Eingang zu dem Gebäude mit den Abgeordnetenbüros gibt es eine leichte Konfusion, es dürfen nicht alle auf einmal rein. Steinbrück wird nicht abgeholt, sucht sich seinen Weg selbst. Wenige Minuten nach der Begegnung twittert Miliband ein Bild von der Begegnung, versehen mit einigen freundlichen Worten. Steinbrücks Team twittert nichts von der Reise. Das ist einfach vergessen worden, niemand hat dazu die Prokura. Die Reise führt nun zu einem brisanten Ziel, nach Athen.
    Im Flugzeug kommt kurz vor der Landung in Athen eine Flugbegleiterin auf mich zu, in der Hand eine Liste. Fragt nach meinem Namen, ich bestätige etwas besorgt. Ich möge ihr bitte gleich folgen, denn ich solle als Erster von Bord. Ich höre das spontan mit Sorge, vielleicht irgendeine Katastrophe zu Hause? Ich sehe keinen Zusammenhang zur Reisegruppe. Alle haben die Tickets selbst gebucht und bezahlt, wir sitzen über das ganze Flugzeug verstreut. Dennoch hat die Bitte mit der Steinbrückreise zu tun, es handelt sich um eine gutgemeinte Vorzugsbehandlung, aber sie geht völlig schief. Denn als wir uns unmittelbar nach der Landung erheben und nach vorne gehen wollen, erheben sich alle anderen auch – es kommt zu Stau und Rückstau, bald stehen alle, fuchteln mit den Taschen herum, und es dauert insgesamt weit länger, als wenn wir ganz normal ausgestiegen wären.
    In Griechenland ist Steinbrück aus naheliegenden Gründen ein besonders wichtiger Gast, man ist dort ja kein Freund der Kanzlerin. Er braust mit einem besonderen Wagen mit Polizeischutz voran, die Journalisten in einem Kleinbus hinterher, auch zum bemerkenswertesten Termin der Reise, einem Besuch bei einem sogenannten Sozialknotenpunkt. Der wurde als erste Anlaufstation für jene, die gar nichts mehr haben, gegründet, untergebracht in einer alten Polizeiwache gegenüber einem Bahnhof. Der Bürgermeister von Athen nimmt teil, er hat seine Personenschützer dabei, breite Bullen, die zu viele amerikanische Serien geschaut haben. Und auch das BKA hat Beamte einfliegen lassen. Als die auf den Plan treten, werden einzelne deutsche Journalisten wach und erkundigen sich diskret bei den Beamten, was so ein Schutz für Steinbrück in Athen denn wohl insgesamt koste, mit Flug, Hotel und allem. Es fehlt bloß noch die im Plauderton vorgebrachte Überlegung, er habe doch eh keine Chance, Merkel bleibe auf ewig Kanzlerin, da könnte man das Geld für Personenschutz und Wahlkampf doch gleich sparen.
    Es wird recht schnell sehr eng und unübersichtlich in der alten Polizeiwache, in der es vor allem lange enge Flure und kleine Räume gibt. Das Interesse ist groß, die Beschäftigten stehen eingeschüchtert herum. Von den Bedürftigen ist niemand zu sehen, wer will sich schon von mehreren Fernsehkameras dabei filmen lassen, wie er oder sie Essen für seine Kinder abholt?
    Die Zimmer sind voll mit Schulsachen, es gibt auch Kleidung und Spielzeug. Es ist die Ausstattung für Menschen, die nichts haben. Der Tross drängelt sich zum Lager für Lebensmittel, alles sauber auf Paletten gestapelt: Kichererbsen, Reis, Saft. Ein Bild, wie man es von der Hungerhilfe für Ostafrika oder der Soforthilfe nach Naturkatastrophen kennt. Nur ein Turm mit Snickers-Kartons fällt aus dem Rahmen. Es kämen auch Spenden von Reedern, wird erläutert, die laden die Paletten gleich vom Hafen kommend ab, ohne viel Papierkram. Weil nicht alle

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