Der Zirkus: Ein Jahr im Innersten der Politik (German Edition)
Fototeams durch den engen Gang gekommen und folglich nicht rechtzeitig vor Ort sind, gibt es Beschwerden, auch von der »Bild«. Hier ist sonst gar kein Motiv für uns dabei, beschwert sich der Kollege. Also muss die Szene noch einmal wiederholt werden, denn dass Steinbrück sich informiert hat, ist die eine Sache, die andere ist aber, dass auch alle den Fotobeweis haben wollen: Männer in Anzügen vor Kichererbsen. Und was sagen die da? Die große, tränenselige Compassion ist nicht Steinbrücks Fach, also bleibt er sachlich und zischt dem Verantwortlichen zu: »Sind doch Lebensmittel hier, musst du kühlen.«
Dann setzen sich alle ratlos an eine improvisierte lange Tafel, es gibt noch mehr Geschubse und eine Karambolage der Sicherheitskräfte. Es wird Saft ausgeschenkt, aber es hat niemand das Herz, den Saft der Armen anzunehmen. Dann gibt es Statements von einem Pult, und Steinbrück macht in knappen Worten klar, dass die Sanierung der Finanzen nicht um jeden Preis erfolgen dürfe. Die griechischen Journalisten und Mitarbeiter scheinen seine Worte zu schätzen, schon weil mal jemand die Misere zur Kenntnis nimmt. Dass einer überhaupt kommt. Dann brausen wir wieder los in jene Zone, in der sich der Kandidat sicherer bewegt, zu jenen beiden Gründerzeitvillen, in denen die Spitze des griechischen Staates residiert wie zwei Nachbarn, der eine manisch, der andere depressiv.
In der Residenz des Premierministers haben sie zu viel »The West Wing« geschaut: Jeder trägt Marken um den Hals, dicke Sonnenbrillen und Kaffee in Pappbechern. Samaras nimmt sich eine Menge Zeit für den deutschen Gast, jede Minute mehr ärgert ja die deutsche Kanzlerin.
In der Villa daneben wohnt der Präsident. Schwere Möbel, dicke Vorhänge – es ist wie der Besuch bei einem alten Verwandten. Hier streifen seltsame ältere Herren durch die Gänge. Einer spricht in perfektem Deutsch eine der jungen Journalistinnen an und schwärmt von seinem Ferienhaus auf einer Insel: »Sie müssen wissen«, schnurrt er, »eigentlich bin ich eine Lesbierin.« Allgemeines Augenrollen.
Ein Kollege greift sich eines der vollen Gläser, die auf einem Vertiko im Empfangszimmer stehen, und verursacht einen Eklat: »This is the juice of the president!« Steinbrück nutzt den Moment der Besprechung, um erst einmal die Rolle des greisen Präsidenten bei der komplizierten Regierungsbildung zu würdigen. Es ist die Art von Höflichkeit und subtiler Förderung der politischen Kultur, die ihm liegt. Es geht wieder um das Stellen kleiner Weichen, die später große Wirkung entfalten können, um Anerkennung und Respekt. So auch später, als er neben dem Finanzminister dazu aufruft, in Griechenland zu investieren, Vertrauen zu haben. Währenddessen berichtet ein Mitarbeiter der deutschen Botschaft, in den Supermärkten sei ihm und seiner Frau aufgefallen, dass die Einkaufswägen der meisten Griechen auch vor einem Wochenende fast leer blieben: »Die Leute haben einfach kein Geld mehr.«
Steinbrück bewegt sich durch Athen wie ein Staatsmann zwischen zwei Engagements, nicht als Wahlkämpfer. Eine Schulklasse, die auf seinem Weg gerade eine kurze Rast beim Wandertag macht, lässt er links liegen. Inhaltlich bewegt er sich zwischen zwei Positionen: Einmal betont er, dass man Griechenland wie auch den anderen Südländern der Eurozone Sparprogramme in einem Ausmaß zumutet, wie man es in Deutschland nie wagen würde, und dass dieses Volumen gefährlich sei. Vor griechischen Journalisten in der festungsartig gesicherten Residenz des deutschen Botschafters betont er aber auch, dass es kein Zurück in die alten Zeiten und Verhältnisse geben könne. Er hütet sich, die Kanzlerin anzugreifen, betont aber seine Differenz: Tempo und Maß der Restrukturierung wären andere, aber die Verantwortung der reicheren Steuerpflichtigen muss bleiben.
Zweck und Botschaft der Reise bleiben reichlich subtil und ganz in der Nuance: Respekt bezeugen, Anerkennung aussprechen und Sensibilität für die Not der Griechen anmahnen. Aber es gibt kaum Bilder zu diesen Themen, und vor dem Aufbruch zum Flughafen drängeln sich die Kamerateams um die nun knapp werdende Zeit. Steinbrück muss die Stimme erheben und eine Reihenfolge und ein Prinzip festlegen.
Eilig und einsam zog Steinbrück durch Europa, musste als sein eigener Pressesprecher agieren und geriet häufig in Streit mit Journalisten. Die weise und wichtige politische Botschaft war sehr nuanciert und hatte keine Chance gegen diesen
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