Der Zirkus: Ein Jahr im Innersten der Politik (German Edition)
Repräsentanten. Es war der eklatante Vertrauensverlust gegenüber der gewählten Politik. Das Versagen bei der Kontrolle der Finanzwelt trug zu diesem Verlust bei, die wachsenden Einkommensunterschiede, das Gefühl, dass die dynamischen Kräfte der Zeit nur noch einem ganz kleinen Teil der Menschheit zukommen, während die gewählten Mandatsträger wenig Einfluss haben, viel zu viel beschwichtigen und eine Normalität vorspiegeln, die es nicht mehr gibt.
Hinzu kamen die Skandale: In den Merkeljahren sind mit Köhler, Wulff und Guttenberg gleich dreimal in Folge beliebte Politiker gestürzt, zwei davon im Amt des Bundespräsidenten – eine Häufung, wie es sie in der Geschichte noch nicht gegeben hat. Und doch ist die Politik immer sofort mit einer neuen Fassade dabei. Während sich die Bürger immer wieder mit Veränderungen, Konflikten, Niederlagen und Ratlosigkeit auseinandersetzen müssen, schaffen die Politiker, allen voran die Bundeskanzlerin, sofort wieder eine opake Benutzeroberfläche: »Das war heftig, aber nun ist alles wieder okay.« Naheliegende, aber tiefreichende Fragen werden gar nicht erst gestellt, etwa die nach den Rekrutierungswegen für Berufspolitiker oder nach der Qualität der Kommunikation unter Kollegen an der Spitze des Staates. Und der Kandidat Steinbrück hatte es nicht fertiggebracht, dieses Misstrauen zu zerstreuen. Gerade Frauen äußerten Vorbehalte. Was man an ihm als eine hanseatische Distanziertheit schätzen konnte, wirkte auf viele wie Arroganz. Kompetenz wirkte wie Überheblichkeit, und die Sache mit den hochdotierten Vorträgen nicht wie wünschenswerte Unabhängigkeit von öffentlichen Bezügen, sondern wie ein Beweis seiner Gier. Es lag ein negativer Filter auf der Gesamtwahrnehmung, den zu verändern nicht leicht werden würde. Alle Stärken hatten sich in Schwächen verwandelt. Der Berater meinte, Steinbrück müsse mehr von sich preisgeben und es wäre auch ratsam, einmal seine Familie vorzustellen, deutlich zu machen, dass er mit Frau und Töchtern lebt. Viel Zeit bleibe nicht mehr. Wenn es bis Anfang Juli nicht gelungen sei, etwas am Image zu verändern, sei alles verloren.
Ein Auftritt von Steinbrück und seiner Frau also? Ich hörte es mit Skepsis, denn beide hatten so etwas eigentlich immer ausgeschlossen. Aber auch diese Ressource sollte benötigt und verzehrt werden.
Vorher aber war in Leipzig das Geburtstagsfest der SPD . Es war wie im echten Leben: Solche Feste fallen mitunter ungünstig. Man ist erkältet, steckt mitten in einem Umzug, hat Liebeskummer, braucht einen neuen Job oder alles auf einmal. So ging es auch der ältesten deutschen Partei. Die Umfragewerte waren nicht toll, die Führung war nicht geeint, der Generationswechsel gestaltete sich schwierig. Der Gastredner François Hollande steckte tief im politischen Schlamassel, festes Land war auch für ihn erst einmal nicht in Sicht, ganz abgesehen von der Vorstellung, dass er etwas linksrheinischen Wind unter die Flügel der Partei geweht hätte.
Der Festakt selbst war staatstragend und geschmackvoll gewesen, mit einer ansprechenden Collage aus Reden, Musik und von namhaften Schauspielern vorgetragenen Texten. Es hatte einen roten Teppich gegeben, gutes Fotowetter und ein Ballett von Limousinen. Im ersten Stock des Gewandhauses stand ich neben Klaus Staeck, dem Präsidenten der Akademie der Künste und Veteranen aller SPD -Wahlkämpfe. Als ich mal über ihn schrieb, Staeck würde selbst auf dem Mars noch Wahlkampf für die SPD machen, schickte er mir eine freundliche Postkarte und bestätigte dies vollumfänglich. Wir blickten auf die Szenen des Ankommens hinunter. Sigmar Gabriel dirigierte alles, wie er sicher schon die Zeltlager der Falken eingewiesen hatte, warmherzig und energisch zugleich. »Sehen Sie mal, es gibt sogar eine rote Linie für die Autos«, amüsierte sich Staeck, der selbst kein Auto fährt. Es war eine ausgetüftelte Choreographie. Den dunklen Wagen, die das Logo des Geburtstagskindes trugen, entstiegen mal afrikanische, mal chinesische Gäste oder auch der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein. Belustigt erzählte Staeck, wie er nach seiner Wahl zum Präsidenten der Akademie der Künste von einem Nachbarn gefragt wurde, ob er denn auch einen Dienstwagen bekomme. Und als er verneinte, antwortete der Nachbar: »Dann sind Sie auch kein richtiger Präsident.« Wenn der Wagen das Amt macht, dann hatte diese Partei einen Hunger nach Ämtern. Und es war jemand unter den
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