Der Zirkus: Ein Jahr im Innersten der Politik (German Edition)
modernisieren. Das Entstauben sozialdemokratischer Politikkonzepte muss ja nicht bedeuten, sich hemmungslos den Interessen des digitalen Kapitalismus auszuliefern oder das als zukunftsgerichtet anzunehmen, was das Silicon Valley gerade empfiehlt.
Der britische Labourpolitiker und Soziologe Richard Layard hat solch einen Wandel antizipiert und, lange bevor der Burnout zu solch einem zeitdiagnostischen Begriff wurde, angefangen, neu zu denken. Ausgangspunkt seiner Überlegungen war die Tatsache, dass sich das Wohlbefinden, die Zufriedenheit in Großbritannien seit dem Krieg nicht wesentlich gesteigert haben, obwohl der Wohlstand und das Wachstum so stark gewachsen sind. Glück und Wachstum korrelieren nicht gleichmäßig. Die herkömmliche Politik kennt aber nur das Wachstum als zuverlässigen Indikator, die Union hat sogar in einem Programm geschrieben: Ohne Wachstum ist alles nichts.
Doch die realen Wachstumsraten kennen seit den siebziger Jahren nur eine Tendenz: Abwärts bis zu einer fast perfekten Stagnation. Daraufhin begann man, mit Schulden und Spekulationen künstliche Wachstumsblasen zu produzieren, denn Wachstum war das Kriterium für eine gute Volkswirtschaft, davon hing alles Weitere ab. Doch die frenetische Fixierung auf Wachstum hat die Bürger nicht glücklicher gemacht, sondern ausgepowert.
Es ist aber möglich, der Politik andere Ziele vorzugeben als die Maximierung des Wachstums auf Kosten des Wohlergehens der Bürger.
Layard hat ein Berufsleben lang Arbeitsmarktpolitik für die Labourpartei betrieben, er war ein Fachmann der Arbeitsagenturen. Auf ihn gehen zahlreiche Umstellungen des Systems nach dem Prinzip Fordern und Fördern zurück, die die Arbeitslosenquote in Großbritannien effektiv gesenkt haben. Auch dem lag schon der Gedanke zugrunde, Politik an der Zufriedenheit auszurichten: Zwar würde es der breite linke Konsens vorziehen, arbeitslos gewordene Bürgern möglichst lang möglichst hohe Bezüge zu garantieren, aber deren Selbstwertgefühl und ihre psychische Gesundheit leidet unter dem Eindruck, nicht mehr gebraucht zu werden. Layard empfahl also stattdessen Umschulungsmaßnahmen und Wege, die Arbeitslosen wieder zu integrieren, statt unbegrenzt hohe Bezüge zu zahlen, deren Kosten seelisch stark zu Buche schlagen. Diese Umorientierung der Politik auf eine gesellschaftliche Maximierung des Wohlbefindens war der nächste logische Schritt. Layard nutzte hier die neusten Erkenntnisse der Neurowissenschaften und ihrer speziellen Unterdisziplin, der Glücksforschung. Er verfiel wohlgemerkt nicht einem spätaufklärerischen Wahn, durch eine optimale Staatsordnung jeden Einzelnen beglücken zu können, machte aber doch die Entdeckung, dass Politik für das Glück der Menschen eine Menge bewegen kann, mehr vielleicht als über die herkömmlichen Wege der Fiskalpolitik, der öffentlichen Investitionsprogramme oder den Umweg über das Investitionsklima der Wirtschaft. Denn so wurde es seit den achtziger Jahren gehandhabt: Geld und Arbeit sind der Boden für das gelingende Leben, sie werden vorwiegend über Unternehmen verteilt, also ist die beste Politik die, die den Unternehmen nutzt. Doch viele Bedürfnisse der großen Konzerne, die nach immens hohen Renditen, nach Flexibilität und Mobilität der Beschäftigten verlangen, haben hohe seelische und damit langfristig auch soziale Kosten. Und: Eine entsprechende Steigerung des Gehalts hat nicht die Bedeutung, die eine Renditesteigerung für eine Firma oder Aktiengesellschaft hat. Zwar ist eine finanzielle Basis sehr wichtig für ein persönliches Glücksgefühl – aber die darauffolgenden Steigerungen bewirken keine große Verbesserung mehr. Jedenfalls schädigt eine Veränderung des sozialen Umfelds durch Umzug oder Scheidung das Wohlbefinden weit mehr, als ein etwas höheres Gehalt glücksmäßig zu kompensieren vermag.
Layard empfiehlt eine Politik für die linke Hirnhälfte. Zu den Elementen, die die seelische Gesundheit, die allgemeine Zufriedenheit, gar das Glück befördern, zählen vor allem soziale Bindungen. Hier ist das Instrumentarium der klassischen Familienpolitik gefragt, aber auch das alte Thema Arbeitszeitverkürzung. Die französische Familiengröße nahm nicht nur wegen Ganztagsschulen und der hervorragenden Qualität der Kleinkindbetreuung zu, sondern auch nach der Einführung der 35 -Stunden-Woche. Wenn alle weniger Zeit in Betrieb und Büro verbringen, werden auch die Mütter und Väter nicht komisch beäugt, die
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