Der Zirkus: Ein Jahr im Innersten der Politik (German Edition)
Programm sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht, es gibt nur den Mikro- und den Makrofokus, entweder die Betroffenenperspektive oder die aus einem Satelliten. Drei Seiten später finden sich entscheidende Sätze, die unsere historische Lage betreffen: »Die Politik der Bundesregierung aus CDU , CSU und FDP hat in Europa nicht mehr Stabilität, sondern wachsende Instabilität geschaffen.« Die Sorgen über das Streikrecht der bei Caritas und Diakonie Beschäftigten kommen in der Struktur des Textes vor der Lage in Europa. Das ist nicht intendiert, sondern Zufall oder eben das Prinzip dieser Partei: Schön eins nach dem anderen und nicht vordrängeln unter der Behauptung von Wichtigkeit.
In seinen Vorträgen schreibt der ehemalige Berater Tony Blairs, Alastair Campbell, gleich zu Beginn die drei Buchstaben » OST « an die Tafel. Damit hätten er und New Labour nach Jahrzehnten zum ersten Mal wieder einen linken Premier nach Downing Street befördert. Lassen wir fürs Erste mal unberücksichtigt, welche anderen drei Buchstaben diese Regierung dann ins Verderben gestürzt haben, nämlich WMD für Weapons of Mass Destruction, die Massenvernichtungswaffen, die es angeblich bei Saddam gab und die den schon beschlossenen Krieg rechtfertigen sollten, nehmen wir dies nur als Beispiel eines gelungenen Machtwechsels. Nur selten errät jemand die Bedeutung des Akronyms auf Anhieb. Es ist ein einfaches mentales Gliederungsprinzip: Objective Strategy Tactics. Erst das große Ziel definieren, dann überlegen, auf welchem Weg man am besten dorthin gelangt, und schließlich die Transportmittel wählen. Es ist ein Beispiel für eine erfolgreiche Kampagne, man könnte andere anführen. Ihnen ist eines gemeinsam: Eine relativ knappe, zauberformelartige Orientierung der gesamten Operation.
Im Programm der SPD aber geht es munter durcheinander: Die Zukunft der Menschheit, die EU -Vorschriften für den Energieverbrauch von Haushaltsgeräten und dann wieder die Instabilität in Europa und die kommenden stürmischen Zeiten. So etwas wie die »Netze in Bürgerhand«, die vielleicht die Zukunft kommunaler und dezentraler Stromversorgung darstellen, oder andere spezielle Regelungen gehören eindeutig weder zum Ziel noch zur Strategie. Auch ein Programm muss eine Geschichte erzählen. Es muss den Ausgangspunkt beschreiben, die deutsche Gegenwart des Jahres 2013 , dann, was sich in den nächsten vier Jahren ändern könnte, und schließlich, was man entscheiden, regeln und machen kann, damit sie sich auf die gewünschte Art und Weise ändert. Der umfassende Anspruch, das Leben aller Menschen auf alle Zeit zu verbessern, ist kein politisches Ziel, das mit einer Bundestagswahl zu erreichen ist. Ich halte es nicht einmal für ein politisches Anliegen, es ist ein säkulares, humanistisches Heilsversprechen, bei dem man sich eigentlich nur fragt, weshalb Berggorillas und Meeressäuger ausgenommen sind.
Was soll, weiter gelesen, diese Passage über Kinder und Gewalt: »Das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen soll frei von jeder Form von Gewalt, auch sexualisierter Gewalt stattfinden«? Dafür haben wir schon das Strafgesetzbuch, solche Gewalt ist verboten. Im Übrigen kann auch dieses umfassende Versprechen nicht gehalten werden. Wie will die SPD das bewerkstelligen? Es ist, als wolle man das Böse per Gesetz verbieten.
Eine analoge Passage findet sich bei den Alten: »Die Menschen in unserem Land leben länger. Unser Ziel ist es, dass sie die Sicherheit haben, gesund und ohne materielle Not in Würde alt werden zu können.« Auch dies ist wieder eine politisch verbrämte Erlösungshoffnung. Und echte Hybris: Nur ein Gott kann einem Menschen die Sicherheit geben, gesund alt zu werden. Und auch bei materieller Not – statt von einem Ziel müsste man von einem Wunsch oder einem Ideal sprechen und dann einschränken, was gesetzliche Regelungen und soziale Vereinbarungen hier bewerkstelligen können. Das ist schon eine Menge, die Abkehr vom Renditeprinzip in Pflegeeinrichtungen würde viele entlasten und zu spürbaren Verbesserungen führen. Man müsste sich aber auf die Leistungsfähigkeit des revisionistischen Prinzips beschränken, mit dem, was Karl Popper das »piecemeal social engineering« genannt hat – das Leben besser machen anhand kleiner, effektiver und entschlossener Schritte. Das ist schon der Unterschied zwischen einem schönen und einem mühsamen Leben. So ist die Arbeiterbewegung vorangekommen: Soziale Absicherung, bürgerliche
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