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Der Zirkus: Ein Jahr im Innersten der Politik (German Edition)

Der Zirkus: Ein Jahr im Innersten der Politik (German Edition)

Titel: Der Zirkus: Ein Jahr im Innersten der Politik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nils Minkmar
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Rechte, gesellschaftlicher Fortschritt, nichts wurde auf einen Schlag erreicht, immer gab es jahrzehntelange Kämpfe. Und doch ergeben der bezahlte Urlaub, die Krankenversicherung, der Kündigungsschutz, die Rechtssicherheit auf die Dauer und in der Summe eine merkliche Verbesserung des Lebens, auch wenn sie nicht allen Kummer aller beenden.
    Man erwartet im SPD -Programm, wenn man sich einmal so richtig festgelesen hat, irgendwann auch eine Passage gegen Liebeskummer, gegen das Verschwinden geliebter Hauskatzen oder schwere Krankheiten. Bei der Lektüre beschlich mich die Phantasie, dass in einem Programmausschuss eine/r der dort mitarbeitenden Mütter oder Väter von einem schmerzlichen Sturz eines Kindes mit dem Dreirad berichtet. Schon würden sich alle überschlagen, eine Dreiradverordnung, eine Agentur gegen Stürze oder ein bürgernahes Netzwerk ›Sicheres Spielen‹ zu erfinden. Und nur ein Verräter würde sich trauen, die Formel vom Recht aller Kinder auf Freiheit von Schmerzen abzulehnen.
    Letztlich verweisen diese totalen und regressiven Wunschträume auf die Situation ihrer Formulierung. In einem Kreis moralisch ambitionierter Genossen kann man sich durch solche starken All-inclusive-Sätze gegenseitig übertrumpfen. Fordert der eine einen Schutz aller Kinder vor Armut, so fordert die andere einen Schutz aller Kinder in Europa vor Armut und Gewalt. Ein Dritter trumpft mit der Forderung auf, Kinder weltweit vor Armut, Gewalt und Diskriminierung zu schützen, denn auch blöde Bemerkungen auf dem Schulhof seien ja verletzend. Und wer traut sich nun noch, darauf hinzuweisen, dass das keine Macht auf Erden vermag? Und dass die Wähler so etwas weder erwarten noch möchten, sondern ganz anders deuten, als das Ergebnis eines zwischen All- und Ohnmacht oszillierenden, sozial völlig hermetischen Diskurses?
    Diese kritische Lektüre verkennt nicht, dass es in den Weiten des Textes auch starke und humanistisch ambitionierte Ideen gibt. Die SPD der Nach-Agenda-Zeit ist eine Partei exekutiver Exzellenz, ein Verein der Profis, die das Land seit Jahrzehnten an diversen Stellen regieren und es sehr gut kennen. Die Erleichterung der Anerkennung ausländischer Hochschulabschlüsse ist ein solcher Punkt, das Adoptionsrecht für homosexuelle Ehepaare, der Ausbau von familien- und jugendfreundlichen Einrichtungen und vor allem eine effizientere und gerechtere Steuerstruktur, das wären schon wichtige Weichenstellungen. Es ist durchaus die Bereitschaft erkennbar, Risiken einzugehen, und ohne solch eine Bereitschaft gibt es keine gelungenen Politik. Doch muss man die nahrhafteren Elemente wie mit dem Köcher aus dem See filtern.
    Das Programm leidet an einer Hypertrophie des Diskursbegriffs: Es wird in den Angeboten, die sich die SPD in diesen Zeilen ausdenkt, wahnsinnig viel geredet, immerzu werden noch mehr Angebote zu noch mehr Gesprächen gemacht. Die Welt dieses Programms ist ein kommunikativer Overkill, in dem der Bürger seine Zeit zwischen Foren, lokalen Initiativen und allen möglichen anderen Plattformen verbringt, um Strom, Wasser, Schule und alles mögliche andere mehr zu besprechen.
    Völlig unnötig begibt sich das Programm auf Felder, in denen man zu geringem Nutzen ewige Debatten anzetteln wird, beispielsweise über den Wunsch, das »Bundesjagdgesetz an den Anforderungen des Tierschutzes« auszurichten, ebenso die Nutzviehhaltung an den Interessen der Tiere zu orientieren. Man möchte bemerken, dass das nicht ganz leicht wird. In einer rundum erlösten Welt schläft, so das Renaissance-Bild, das Lamm neben dem Löwen, hienieden aber wird es schwierig, die Interessen des Kalbes mit denen des Metzgers zu versöhnen. Im Übrigen verlangt das auch niemand von der SPD . Wer sich mit dem Thema beschäftigt, wird vielleicht Vegetarier oder Veganer, kauft bei einem Metzger, der sich um artgerechte Haltung bemüht, reduziert den Fleischkonsum, aber der Akt des Schlachtens oder des Erlegens kann politisch nicht von seiner blutigen Essenz reingewaschen werden.
    Es gibt hier ein fehlgeleitetes Verständnis davon, wozu Politik eigentlich da ist, was sie vermag. Wer diesen Katalog gelesen hat und etwas zur Skepsis neigt, wird denken, dass deutsche Politik eigentlich gar nichts mehr kann und darum alles mögliche aufschreibt.
    Dabei gibt es, wenn wir bei der Diagnose etwa von Grünewald bleiben, also der auch historisch und politisch bedingten Erschöpfung der Deutschen, gute Ansätze, Politik weiterzudenken und zu

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