Der Zirkus: Ein Jahr im Innersten der Politik (German Edition)
wenden: »Könnt ihr uns das nicht da lassen? Nur das Zelt? Das wäre doch schon mal etwas.« Es ist wirklich sehr gelungen. Ob sich die große Politik dann günstig entwickelt, ist der Dame wie uns allen unklar, aber so ein leichtes und doch festliches, kostenlos einsehbares Forum in der Innenstadt, davon verspricht sie sich etwas. Die Veranstaltung zieht einige Originale an, aber keinen echten Protest, die aggressive Energie entlädt sich an diesem Tag offenbar woanders. Ein älterer, leicht zerzauster Herr verteilt Zettel, auf denen er erklärt, wie er mit Hilfe eines russischen Magnetisten das Energieproblem gelöst hat, und ein älteres Paar hält ein Schild hoch mit der Empfehlung: Nachdenkseiten.de. Die Bundestagskandidatinnen und -kandidaten sind da, der Ministerpräsident und auch Gerhard Schröder, es ist ein Familien- und Veteranentreffen. Ganz allmählich bleiben dann auch Jugendliche stehen, Studenten und ganz normale Endverbraucher. Es wirkt immer noch: Wenn man Politik anbietet, greifen die Leute zu.
Was man problemlos in der Fußgängerzone von Hannover zurücklassen könnte, ist der ganz besondere SPD -Einfall namens »Dialog Box«. Es handelt sich um eine Art mannshohe Litfaßsäule aus aufblasbarem Material in den diversen Schattierungen der postmodernen SPD -Farbpalette von Purpur bis Dunkelrosa. Unter der missverständlichen Aufschrift »Dialog Box« – denn weder handelt sich um eine Schachtel noch ist hier ein Dialog möglich – ist ein Wechselrahmen angebracht. Dort ist heute ein Steinbrückposter befestigt, aus irgendwelchen Gründen in Schwarzweiß gehalten, wie um zu zeigen, dass dieser Kandidat austauschbar ist. Die Box ist nicht begehbar, verbirgt auch kein technisches interaktives Element. Es ist einfach nur eine pneumatische Litfaßsäule für ein blasses Poster, eine Minihüpfburg ohne Kinder, ein aufgeblasenes Riesenwürstchen oder ein Punchingball.
Als Erstes tritt der Kandidat für die Wahl zum Oberbürgermeister von Hannover auf. Stefan Schostok ist ein junger Mann, der sein ganzes Leben in Hannover verbracht hat, seit er als Kind zugezogen ist. Er sieht das als gutes Zeichen, als Ausweis der Qualität der Stadt, dass man sie nicht zu verlassen braucht, weder um zu studieren noch zum Arbeiten. Man könne hier prima feiern und leben, Hannoveraner seien die »Spanier des Nordens«. In seiner Begeisterung für die Heimatstadt definiert er einen entsprechenden Politikstil: Alle Hannoveraner und Hannoveranerinnen will er an Entscheidungen beteiligen und die »ganze Stadtgesellschaft einbinden«. Er führt nicht aus, wie das geschehen könne, aber verspricht, er habe da »einige Überraschungen« vorbereitet. Die Begeisterung hält sich in Grenzen, und man bleibt skeptisch, was das Konzept von Politik als permamenter Interaktion angeht. Die Auftritte von Gerhard Schröder und später von Peer Steinbrück werden dort bejubelt, wo sie sich entschieden zeigen und mutig und nicht als die obersten Mediatoren des Landes. Solch ein bejubelter Moment entsteht, als Gerhard Schröder die Reaktion der Kanzlerin auf die NSA -Enthüllung kritisiert. »Zentrale Entscheidungen werden in Deutschland getroffen und nirgendwo anders.« Die von vielen so geschätzte deutsche Verweigerungshaltung gegen den Irakkrieg, die Haltung damals zur Nachrüstung, die Entspannung, all diese historischen Komponenten einer sozialdemokratischen Außenpolitik hatten immer einen Kern nationalen Selbstbewusstseins, das gegen erheblichen innenpolitischen Widerstand durchgesetzt wurde. Hier kamen Patriotismus, Antiamerikanismus und der Wunsch nach Autonomie zusammen, oft in guter Absicht. Es wäre in der Tat tragisch, ja kriminell gewesen, dem Wahnsinn des Irakkrieges auch noch Bundeswehrsoldaten zu opfern. Aber diese Haltung und, allerdings nur in Teilen, seine Politik der Agenda sind die Gründe, warum Schröder hier Applaus bekommt, es ist nicht sein dialogischer Stil. Die Leute haben das Gefühl, dass er ihnen etwas abnimmt. Und wenn sie Schröder ablehnen oder kritisieren, dann dort, wo er nach dem Prinzip Fordern und Fördern die lange Statusgarantie in der Arbeitslosigkeit aufgehoben, die Beschäftigung unsicherer und durchlässiger gemacht hat, und so mehr von denen verlangte, die plötzlich auf staatliche Hilfe angewiesen waren und sich ohnehin schon unter Druck fühlten. Teilhabe ist schön und gut, aber man muss auch etwas anzubieten haben, an dem teilzunehmen sich lohnt.
Doch die lokalen SPD -Größen
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