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Der Zirkus: Ein Jahr im Innersten der Politik (German Edition)

Der Zirkus: Ein Jahr im Innersten der Politik (German Edition)

Titel: Der Zirkus: Ein Jahr im Innersten der Politik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nils Minkmar
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beispielsweise in Fernsehstudios und eben Hotels.
    Vor dem Luisenhof in der Mitte Hannovers, nur einen kurzen Fußweg von dem Ort entfernt, an dem gerade die Open-Air-Manege abgebaut wird, stehen am späten Abend teure, dunkle Wagen. Zwischen dem Restaurant und den Parkplätzen gehen junge Männer in Anzügen hin und her, manche mit Mappen, manche mit Knöpfen im Ohr. Rolf Kleine, der neue Sprecher Steinbrücks, sitzt mit einem Mitarbeiter auf der Terrasse und trinkt Wein. Die Mannschaften scheinen sich mit Ausrüstungsteilen auszuhelfen, einer holt eine Art schwarzes Verbindungskabel aus dem Handschuhfach für die anderen. Sie rauchen und blicken ab und zu hinein, ob die Chefs aufbrechen.
    Es ist eine nächtliche deutsche Szene wie aus einem Film von Dieter Wedel. Schröder, Steinbrück und Weil speisen und besprechen die Lage. Es wird spät, aber nicht exzessiv. Der Wagen mit Steinbrück verlässt als Erstes die Tiefgarage, es geht noch weiter nach Magdeburg, dort ist am folgenden Abend ›Klartext Open Air‹. Der niedersächsische Ministerpräsident Stefan Weil tritt ins Freie und sucht seine beiden Dienstwagen, obwohl sie direkt vor ihm stehen. Als Letzter, er hat sich noch einige Szenen eines Fußballspiels angesehen, spaziert Schröder mit Entourage hinaus. Er hat sein grimmiges Sprecht-mich-nicht-an-Gesicht aufgesetzt. Eine etwas verwirrt aussehende Autogrammsammlerin eilt ihm hinterher, in einigem Abstand ein weiterer. Doch da ist der ehemalige Bundeskanzler schon in seinem Auto verschwunden, seine Begleiter zwängen sich auch noch hinein. Schröder ist, trotz seiner Fähigkeit, in Sekundenschnelle sein breites Lächeln aufzusetzen, kein sehr guter Schauspieler. Man sieht gleich, wie die Stimmung ist, und oft genug ist sie grimmig: Der Unterkiefer ist vorgeschoben, die Augenbrauen bilden eine dichte Front.
    So blickte er auch während des Auftritts des Kandidaten am Nachmittag. Während Steinbrück seine One-man-Show absolvierte, so gut er es eben vermag, blickte Schröder alles andere als überzeugt. Zu Zeiten, als Schröder aufsteigender Star der Sozialdemokraten, dann Kanzlerkandidat und schließlich Kanzler wurde, war Steinbrück die meiste Zeit kaum mehr als ein politisierender Bürokrat, ein Mann der zweiten Reihe in den Ländern. Schröder wird schon einen Unterschied an politischem Gewicht und an persuasiver Power bemerken. Wenn er dem Kandidaten etwas raten würde, dann sicher, mehr nach vorn zu gehen, anzugreifen und klare Ansagen zu machen. Es wäre ungefähr das Gegenteil des Welt- und Menschenbildes, das das Wahlprogramm propagiert.
    Steinbrück badet auch Schröders Schicksal aus, die Abspaltung der Linken. Zählt man nämlich die Wähler der Linkspartei zu denen der SPD hinzu, dann käme man wieder auf die Zahlen von früher. Und auch ideologisch ist Schröder historisch gesehen immer eher am linken Rand der Partei entlangspaziert. In einer Lage wie der Steinbrücks kann man sich vorstellen, wie Schröder den Durchbruch zu einer rotrotgrünen Koalition gesucht hätte. Doch ebendiesen Weg hat er auch verhindert, insofern gehört er zu einer Spezies, vor der sich Steinbrück und sein Team hüten mussten: Genossen, die helfen wollen. Auch der Beistand von Franz Müntefering in einem Interview in der »Zeit« war ein sehr gemischter Segen: Der ehemalige Parteivorsitzende hatte zwar kritisiert, dass Steinbrück zu Beginn des Wahlkampfs derart allein gelassen wurde, aber solche Kritik lenkte natürlich von den inhaltlichen Punkten der SPD ab und rief stattdessen abermals die internen Differenzen in Erinnerung. Zudem gerieten die Helfer auch noch untereinander in Streit, wenige Tage nach dem Auftritt von Schröder in Hannover kritisierte Sigmar Gabriel die Aufnahme Griechenlands in die Euro-Zone, für die damals die rotgrüne Regierung unter Schröder verantwortlich gewesen war.
    Als alle in die Nacht verschwanden und die Autogrammjäger schlurfend abzogen, dachte ich daran, was die Frau eines mächtigen Gewerkschaftsführers mir einmal erzählt hatte. Es ging um den berüchtigten aggressiven Auftritt des Noch-Kanzlers in der Wahlsendung am Abend der Bundestagswahl 2005 . Der Gewerkschafter sagte: »Da hat er es eben mal vor den Kameras gemacht. Ich habe ihn eigentlich immer so erlebt, wenn die Türen erst mal verschlossen waren.«
    Steinbrück habe ich nie so erlebt, obwohl er vielleicht Grund gehabt hätte, laut zu werden. Der Berater, der alle kennt, bemerkte dies auch als Unterschied zum

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