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Der Zitronentisch

Der Zitronentisch

Titel: Der Zitronentisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes
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für Sie.« Sie erzählt mir, dass »Dominic« seine Federn aufplustert, weil er ein Angeber ist. Er hat kein Spielzeug im Käfig, weil er kein Wellensittich ist und es nur kaputtmachen würde, wenn er welches hätte. Und dass Papageienschnäbel nicht triefen können, weil sie keine Schleimhäute haben. »Sie sind ein dummes altes Weib und sollten sich lieber um Ihren eigenen Kram kümmern«, wirft sie mir noch an den Kopf und rauscht ab.
    Nun, dieser Vortrag über Papageien hat mich beeindruckt. Mrs Audrey Penn ist eindeutig eine gebildete Frau. Da ich kein anderes Nachschlagewerk zur Hand habe als mein altes College-Verzeichnis, schau ich aufs Geratewohl dort nach. Da ist sie ja: University of Oxford, Lady Margaret Hall, acht Jahre jünger als ich, Leistungsstipendium, während ich ein Hochbegabtenstipendium hatte, und studiert Französisch . (Nicht Veterinärwissenschaften.)
    Ich musste Ihnen das schreiben, denn niemand sonst würde das Merkwürdige dieser Synchronizität verstehen. Doch ob das alles einen Zufall im wahrsten Sinne des Wortes darstellt, vermag ich nicht zu beurteilen. Meine Mitgefangenen hier sind entweder verrückt oder taub. Ich bin taub, wie Félicité. Leider Gottes sind die Verrückten nicht taub, doch steht es mir zu, zu behaupten, dass die Tauben nicht verrückt sind? Ja, ich bin zwar die Jüngste hier, aber doch Seniorensprecherin, da ich verhältnismäßig jung und damit verhältnismäßig kompetent bin.
    Croyez, cher Monsieur, à l’assurance de mes sentiments distingués.
Sylvia Winstanley
    4. März 1986
    Lieber Mr Barnes,
    warum behaupten Sie dann, Sie wären ein Doktor? Was mich betrifft, ich bin eine alte Jungfer, trotzdem ist es nicht sehr großherzig von Ihnen, dass Sie mir nur die Wahl zwischen Miss, Mrs oder Ms lassen. Warum nicht Lady Sylvia? Ich bin immerhin Upperclass, »alter Landadel« und so weiter. Meine Großtante hat mir erzählt, als sie ein kleines Mädchen war, hat Kardinal Newman ihr aus Spanien eine Orange mitgebracht. Eine für sie und eine für jede ihrer Schwestern. Diese Frucht war damals in England noch wenig bekannt. N. war Großmutters Patenonkel.
    Die Heimleiterin sagt, Dominics Besitzerin genieße »in der Nachbarschaft einen guten Ruf«, also macht der Klatsch offenbar die Runde, und ich sollte lieber den Mund halten. Ich habe ihr einen versöhnlichen Brief geschrieben (keine Antwort), und als ich das nächste Mal vorbeikam, sah ich, dass sie Dominic aus dem Fenster genommen hatte. Vielleicht ist er krank. Denn wenn Papageien keine Schleimhäute haben, warum hat dann sein Schnabel getrieft? Aber wenn ich weiterhin öffentlich solche Fragen stelle, komme ich wirklich noch vor Gericht. Nun, der Richter kann mich nicht schrecken.
    Ich habe viel Gide unterrichtet. Proust langweilt mich, und Giraudoux verstehe ich nicht, weil ich ein merkwürdiges Gehirn habe, auf manchen Gebieten ist es brillant und auf anderen strohdumm. Ich galt als todsicherer Tipp für ein Einser-Examen, die Rektorin sagte, sie frisst einen Besen, wenn ich keine Eins bekomme. Ich hab keine bekommen (eine Zwei, mit besonderer Auszeichnung in Mündlichem Ausdruck), und sie machte höheren Orts eine Eingabe; daraufhin teilte man ihr mit, die Zahl der Alphas werde durch die der Gammas ausgeglichen; Betas gab es überhaupt nicht. Verstehen Sie, was ich meine? Ich war nicht auf einer ordentlichen Schule, und als »Lady« habe ich nicht die herkömmlichen Fächer gelernt, darum stand ich mit meiner Arbeit über die Brutpflege der Ohr würmer in der Aufnahmeprüfung zum College besser da als die Sherborne-Mädchen mit ihren »gebildeten« Auf sätzen. Ich hatte ein Hochbegabtenstipendium, wie ich Ihnen wohl bereits schrieb.
    Also, warum behaupten Sie, Sie wären ein Doktor über sechzig, wenn Sie offensichtlich nicht älter als vierzig sein können? Na, na! Ich habe in jungen Jahren erkannt, dass alle Männer Betrüger sind, und beschlossen, erst mit dem Flirten anzufangen, wenn ich 60 und im Pensionsalter bin – was mir aber nochmal 20 Jahre als – wie meine Psychologin sagt – schamlose Flirterin eingebracht hat.
    Nachdem ich mit Barnes durch bin, kommt Brookner, Anita, dran, und heiliger Strohsack! – da erscheint sie am selbigen Tag im Fernsehen. Ich weiß nicht, ich weiß nicht. DIE treiben’s wirklich toll mit mir. Ein Beispiel. Ich sage: »Wenn das eine richtige Entscheidung ist, will ich jetzt einen Hirsch sehen«, dabei nehme ich das unwahrschein lichste Tier für den betreffenden

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