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Der Zitronentisch

Der Zitronentisch

Titel: Der Zitronentisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes
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Trotzdem hat er sich herbeigelassen, das ganze Buch durchzulesen, bis zum letzten »fuck« auf S. 178. So weit bin ich noch nicht. Beim Abendessen wollte ich die anderen Tauben mit einer kleinen raconterie erfreu en, aber vergebens. »Ich glaube«, sagte ich, »dieses Buch handelt von den Freuden des Bettes.« »Hä? Hä? Tschul ligung? Tschulligung?« »Freuden! Ihr wisst schon! Schö nes Knuddelkissen, weiche Matratze, heia-heia.« Das hielt also niemand für raconte-würdig. Ich werde es trotzdem lesen und zweifellos viel lernen.
    Ich bin sehr verärgert, beleidigt etc. aufgrund exzes siver Kasernenhof-Ruppigkeit seitens des Gatten der Heimleiterin, ein Ex-Sergeant-Major, den ich am liebsten rückwärts die Treppe runtergeschubst hätte, aber mir fiel ein, dass er wahrscheinlich stärker ist. Ich will Ihnen noch eine Predigt halten, diesmal zum Thema Altenlagerstät ten. Als Nanny schließlich gaga wurde, hab ich etliche solcher Établissements besichtigt. Es ist kein erhebender Anblick, wenn man jedes Mal wieder denselben Halb kreis von braven alten Weibern sieht, die in billigen Sesseln sitzen, während die Glotze sie anbrüllt wie Musso lini. In einer von diesen Anstalten fragte ich die Leiterin: »Welches Veranstaltungsprogramm wird hier geboten?« Sie schaute mich ungläubig an, denn war es nicht sonnen klar, dass die tauben Alten sich ohnehin schon so köstlich amüsierten, wie sie es seelisch und geistig überhaupt ver kraften konnten? Schließlich antwortete sie: »Einmal die Woche kommt ein Mann und organisiert Spiele.« »Spie le?«, fragte ich, da ich nicht viele Olympiakandidaten er kennen konnte. »Ja«, antwortete sie von oben herab. »Er stellt sie im Kreis auf und wirft ihnen einen Strandball zu, und den müssen sie dann zurückwerfen.« Nun ja: Heute Morgen habe ich dem Sgt-Major gegenüber eine Bemer kung über Strandbälle gemacht, aber wie zu erwarten, hat er die nicht kapiert. Die Tauben und Verrückten hier ha ben ständig Angst, sie könnten anderen zur Last fallen. Es gibt nur eine Möglichkeit, anderen garantiert nicht zur Last zu fallen, und zwar indem man im Sarg liegt, darum beabsichtige ich, weiterhin anderen zur Last zu fallen, um mich am Leben zu halten. Ob mir das gelingt, weiß ich nicht. Diese Altenlagerstätte funktioniert exakt so, wie es bei Balzac steht. Wir legen unsere Lebensersparnisse da für hin, dass wir die Kontrolle über unser Leben abgeben dürfen. Ich hatte mir eine aufgeklärte Diktatur vorgestellt, wie von Voltaire gutgeheißen, aber ich frage mich, ob es eine solche Regierungsform je gab oder geben kann. Die Heimleitung untergräbt, ob mit Absicht oder unbewusst und aus Gewohnheit, nach und nach unsere Lebensgeis ter. Das Direktorium sollte eigentlich unser Verbündeter sein.
    Ich habe halbherzig »sottises« für Sie gesammelt; am meisten ärgert mich die Ansicht, wir hätten in England et was namens »der Sommer« und dass »er kommt«, früher oder später. Und dann sitzen wir nach dem Abendessen alle draußen im Garten und lassen uns von den Mücken zerstechen. Zugegeben, es ist etwa 10 Grad wärmer, und man kann nach dem Tee noch rausgehen. Die Mittelalten erzählen mir immer, als sie jung waren, war der Sommer glühend heiß, und man zog fröhlich singend auf Heuwa gen herum etc., aber ich erkläre ihnen, da ich gut und ger ne 30 Jahre älter bin, erinnere ich mich sehr genau, dass der Mai in ihrer Jugendzeit ein beschissener Monat war und sie das alles vergessen haben. Sind Ihnen schon mal »Les trois saints de glace« begegnet – ich weiß nicht mehr, wer das ist, aber sie müssen vorbei sein, bevor es einen richtigen – romanischen – Sommer geben kann. Einmal hab ich den Mai in der Dordogne verbracht, und es hat die ganze Zeit geregnet, und sie haben den Hund abscheulich behandelt und mir alle möglichen Anlagen gezeigt, und Brot wurde nur alle zwei Wochen gebacken, also kann die Aquitaine mir gestohlen bleiben! Die Drôme liebe ich al lerdings sehr.
    Was ich nicht gelesen habe:
    den ganzen Dicken s
    den ganzen Scott
    den ganzen Thackeray
    den ganzen Shakespeare außer »Macbeth«
    die ganze J. Austen, bis auf eins
    Ich hoffe sehr, Sie finden einen wunderhübschen gîte; ich schwärme für die Pyrenäen, die Blumen und die kleinen »gaves«.
    Ich bin nämlich 1935 um die ganze Welt gefahren, bevor alles verschandelt wurde. Auch auf vielen Schiffen, keinen avions .
    Sie schreiben, à propos Zufall, ich solle doch mal ein Gürteltier sehen wollen oder

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