Der Zitronentisch
liegt ein schäbiger Club der British Legion. Da fuhr mein Vater mittwochs um die Mittagszeit immer hin, »damit ich der höheren In stanz nicht ständig auf den Wecker falle«. Ein Sandwich, ein großes Mild-and-Bitter, eine Partie Billard gegen ir gendwen, der zufällig da war, dann zum Tee wieder nach Hause, und seine Kleider rochen nach Zigarettenrauch. Er hatte seine Legion-Uniform – eine braune Tweedjacke mit Lederflecken am Ellbogen und ein Paar hellbraune Gabardinehosen – auf einem Bügel in der Abstellkammer hängen. Dieses Mittwochsritual war von meiner Mutter gebilligt, vielleicht sogar beschlossen worden. Sie behaup tete immer, mein Vater spiele lieber Billard als Snooker, weil da weniger Kugeln im Spiel seien und er nicht so viel denken müsse.
Als ich meinen Vater fragte, warum er lieber Billard spiele als Snooker, gab er nicht zur Antwort, dass Billard ein Spiel für Gentlemen sei oder subtiler oder eleganter. Er sagte: »Billard muss nicht zu Ende gehen. Ein Partie Billard könnte bis in alle Ewigkeit dauern, auch wenn man die ganze Zeit verliert. Ich mag es nicht, wenn etwas zu Ende geht.«
So redete mein Vater nur selten. Normalerweise sprach er mit einer Art lächelnder Komplizenschaft. Er setzte seine Ironie so ein, dass er nicht unterwürfig wirkte, aber auch nicht ganz ernst. Unser Umgangston stand seit langem fest: nett, freundlich, indirekt; herzlich, aber im Grunde distanziert. Englisch, oh ja, das ist englisch, das ist weiß Gott englisch. In meiner Familie nimmt man sich nicht in die Arme und klopft sich nicht auf die Schulter, man ist nicht sentimental. Wir feiern die Stationen des Lebenswegs mit einer Urkunde per Post ab.
Das klingt jetzt womöglich so, als hätte ich meinen Vater lieber. Ich will meine Mutter nicht als bissig oder humorlos hinstellen. Nun ja, sie kann bissig sein, das stimmt. Und humorlos auch. Sie wirkt auf nervöse Art adrett: Selbst in mittleren Jahren hat sie nie zugenommen. Und wie sie gern sagt, mit Dummheiten darf man ihr nicht kommen. Als meine Eltern in dieses Dorf zogen, lernten sie die Royces kennen. Jim Royce war ihr Arzt, einer von der altmodischen Sorte, der trank und rauchte und stän dig erklärte, ein bisschen Vergnügen habe noch nieman dem geschadet, bis er eines Tages nach einem Herzinfarkt tot umfiel, obwohl die durchschnittliche Lebenserwar tung eines Mannes für ihn noch in weiter Ferne lag. Seine erste Frau war an Krebs gestorben, und Jim hatte noch im selben Jahr wieder geheiratet. Elsie war eine kontaktfreu dige, großbusige Frau, die ein paar Jahre jünger war als er, eine charaktervolle Brille trug und, wie sie sich ausdrück te, »gern das Tanzbein schwang«. Meine Mutter nannte sie immer nur »Joyce Royce« und blieb, auch als längst feststand, dass Elsie in ihrem früheren Leben ihren Eltern in Bishop’s Stortford den Haushalt geführt hatte, hartnä ckig dabei, sie sei Jim Royces Sprechstundenhilfe gewesen und habe ihn durch Erpressung zur Ehe gezwungen.
»Du weißt, dass das nicht stimmt«, widersprach mein Vater bisweilen.
»Ich weiß nichts dergleichen. Und du auch nicht. Womöglich hat sie die erste Mrs Royce vergiftet, damit sie ihn sich krallen konnte.«
»Also, ich glaube, sie hat ein gutes Herz.« Auf den Blick und das Schweigen meiner Mutter hin fügte er hinzu: »Vielleicht ist sie ein bisschen langweilig.«
»Langweilig? Das Testbild im Fernsehen ist nichts dagegen. Nur quatscht sie dabei noch in einer Tour. Und ihre Haare sind pure Chemie.«
»Ach ja?« Mein Vater war sichtlich erstaunt über diese Behauptung.
»Ach, ihr Männer. Hast du geglaubt, so eine Farbe käme in der Natur vor?«
»Darüber hab ich nie nachgedacht.« Mein Vater schwieg eine Weile. Ausnahmsweise leistete meine Mutter ihm dabei Gesellschaft, bis sie schließlich sagte: »Und nun, da du das hast?«
»Was hast?«
»Nachgedacht. Über Joyce Royces Haare.«
»Ach. Nein, ich habe an etwas anderes gedacht.«
»Und willst du den Rest der Menschheit daran teilhaben lassen?«
»Ich habe überlegt, wie viele Us es im Scrabble gibt.«
»Männer«, antwortete meine Mutter. »Da ist doch nur ein A und ein E, Dummerjan.«
Mein Vater lächelte darüber. Sehen Sie, wie sie miteinander umgingen?
Ich fragte meinen Vater, wie das Auto so fuhr. Da war er achtundsiebzig, und ich machte mir Gedanken, wie lange sie ihn noch ans Steuer lassen würden.
»Motor läuft prächtig. Karosserie könnte besser sein. Chassis fängt an zu rosten.«
»Und wie
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