Der zögernde Schwertkämpfer
mich nicht täusche, der Ehrenwerte Lon-dossinu persönlich. Wir wollen gleich mit ihm reden.« Das paßte Honakura gut, denn er hatte nicht mehr viel Lust, seine Erinnerung mit Ballast zu befrachten, und sicher hatte Ihre Allerheiligkeit die Hände dabei im Spiel. Die ganze Angelegenheit war dann mit einem Dutzend Worte geklärt – ergänzt durch ein paar bedeutsame Blicke, Nuancen im Tonfall, Andeutungen und Schmeicheleien. Der Austausch der Mentoren würde vonstatten gehen, und Londossinu würde vom Komitee die beiden anderen Schützlinge, die er beantragt hatte, gewährt bekommen, und dazu das Versprechen auf einen weiteren. Und der junge Jannarlu würde den Mund halten. Honakura wartete, bis er den jungen Mann im Eilschritt im Tempel verschwinden sah, wo er mit dem Ritual des Schweigens beginnen würde, ohne die meisten der Machenschaften durchschaut zu haben, die soeben in seiner Gegenwart abgewickelt worden waren. Es bestand kein Grund zur Eile; der Namenlose brachte keine Opfergaben und war deshalb für die Tempelgehilfen von geringem Interesse.
Ja, die Göttin hatte die Hand im Spiel! Seine Gebete waren erhört worden, die Antwort war ein hochrangiger Schwertkämpfer, und der Mann war – unglaublicherweise – inkognito und aufgrund dessen unbehelligt hierhergekommen, und er war sogar den beiden im mittleren Bogen postierten gelangweilten Wachtposten entgangen, die ihn möglicherweise schon an seinem langen Haar als Schwertkämpfer erkannt hätten. Gepriesen sei die Göttin!
Honakura schlenderte gemächlich in die richtige Richtung, wobei er jedem, der sich vor ihm verneigte, mit einem Kopfnicken antwortete. Nach dem Gesetz durfte ein Namenloser nur von einem Priester verhört oder von einem Schwertkämpfer durchsucht werden, aber es war keine Seltenheit, daß Nachwuchsschwertkämpfer sich aus diesem Recht, jemanden zu drangsalieren, einen Sport machten. Der kleine Priester versuchte sich die Reaktion auszumalen, wenn einige von ihnen das in diesem Fall versuchen würden und feststellen müßten, daß sie es mit einem Schwertkämpfer der Siebten Stufe zu tun hatten. Es wäre sicherlich ein unterhaltsames Schauspiel. Zum Glück war im vorliegenden Fall der Rang des Mannes noch nicht enthüllt worden.
Endlich kam er an seinem Ziel an. Der Mann war tatsächlich sehr groß – selbst in kniender Stellung waren seine Augen fast auf der Höhe Honakuras. Schwertkämpfer waren selten so groß, denn Geschwindigkeit war für sie wichtiger als Kraft. Wenn dieser Mann auch noch wendig war, dann mußte er ungeheuerlich sein, aber schließlich war er dem Vernehmen nach ein Siebentstufler, und etwas Ungeheuerlicheres gab es kaum. Abgesehen von dem schwarzen Lumpen, den er sich um den Kopf gebunden hatte, trug er nichts als den dreckigen Fetzen eines schwarzen Lendenschurzes. Er war schmutzig und schweißverklebt, und dennoch ließen ihn seine Größe und seine Jugend imposant erscheinen. Sein Haar war ebenfalls schwarz und reichte ihm bis zu den Schultern, und seine Augen waren vollkommen schwarz – die Pupillen verschwanden im Schwarz der Iris. Augen voller Kraft – wenn es Ärger gäbe, würden sie Entsetzen verbreiten. Doch als Honakura jetzt in sie blickte, entdeckte er etwas anderes: Schmerz und Angst und Verzweiflung. Solche Regungen sprachen oft aus den Augen derer, die zu der Göttin kamen – der Kranken, der Sterbenden, der Betrogenen, der Verlorenen –, doch selten waren sie von solcher Intensität, und daß sie aus den Augen dieses hochgewachsenen, gesunden jungen Mannes sprachen, bereitete ihm ein schwindelerregendes Grauen. In der Tat, hier stand er vor etwas Ungeheuerlichem.
»Laßt uns an einen ungestörteren Ort gehen«, sagte er rasch. »Mein Lord?«
Der junge Mann erhob sich mühelos und überragte den kleinen Priester zusehends mehr, so wie die Morgendämmerung am Himmel emporsteigt. Er war wirklich ein außerordentlich großer Mann, und seine Bewegungen waren geschmeidig. Selbst für einen Schwertkämpfer war er als Siebentstufler sehr jung, vermutlich jünger als Jannarlu, der Priester der Dritten Stufe.
Sie gingen bis ans Ende der Fassade, und Honakura deutete zum Sockel einer stark verwitterten Statue. Der Schwertkämpfer setzte sich ohne ein Wort. Seine Apathie war erstaunlich.
»Wir wollen in diesem Moment auf Formalitäten verzichten«, sagte Honakura, der stehen geblieben war, leise, »denn wir sind nicht unbeobachtet. Ich bin Honakura, Priester der Siebten Stufe.«
»Ich bin
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