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Der Zorn der Trolle - Hardebusch, C: Zorn der Trolle

Titel: Der Zorn der Trolle - Hardebusch, C: Zorn der Trolle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hardebusch
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Achtung und Vorsicht. Sie hielt Abstand von ihnen, aber ihre Witterung stieg Kerr dennoch von Zeit zu Zeit in die Nase.
    Ein Dreeg wusch über ihn hinweg, drang durch ihn hindurch, laut und klar. Die Luft roch nach Heimat; sie war
kühl, erfüllt vom Versprechen baldigen Schnees. Aber es roch auch nach den Bergen, dem Fels und den Gängen. Heimkehr. Der Troll genoss den Klang des Wortes, seine Stärke, die es auch ihm verlieh. Bald schon waren sie nicht mehr der gnadenlosen Sonne ausgesetzt, sondern wieder jederzeit Herren ihrer selbst. Trolle in den Tiefen der Welt, dort, wo ihr Platz war.
    »Wirst du einen Eingang finden? Wenn ihr noch niemals auf dieser Seite der Berge wart …«, begann Ana, aber Kerr unterbrach sie: »Ich kann schon jetzt die Eingänge spüren. Ich kann die Luft riechen, die Spalten im Fels ahnen. Keine Sorge. Außerdem, wer hat behauptet, dass Trolle niemals jenseits eurer Berge waren?«
    »Ich dachte nur …«
    »Unsere Heimat liegt auch jenseits der Berge. Die Gänge sind lang. Aber wir gehen nur selten dorthin. Es ist Zwergengebiet, und man entfernt sich von den Dreeg.«
    »Und dein Stamm?«, erkundigte sich Natiole.
    »Ich werde sie finden. So wie ihr eure Stämme finden werdet.«
    »Nicht alle von uns«, murmelte der junge Wlachake. Erstaunt spitzte Kerr die Ohren. Neben ihm seufzte Ana leise.
    »Was heißt das?«, fragte Kerr.
    Natiole wollte antworten, aber Ana kam ihm zuvor: »Mein Vetter denkt, dass ich in das Land zwischen den Bergen gehöre. Zu meiner Familie.«
    »Aber du kommst doch woanders her«, erwiderte Kerr unsicher. »Aus Colchas?«
    »Nein, nicht wirklich. Wir sind schon immer viel gereist. Wohin die Aufträge uns eben getrieben haben. Aber ich denke, mein Stamm«, sie betonte das Wort deutlich, »sind meine Kameraden.«
    »Flores war eine starke Kriegerin«, sagte der Troll bestimmt. Wie immer, wenn es um die feineren Aspekte des
menschlichen Lebens ging, war er vorsichtig. »Sie hat gemeinsam mit Şten und uns gekämpft.«
    »Ich weiß. Ich habe viel darüber nachgedacht.«
    Ihre Reaktion überraschte Kerr. Sie wirkte niedergeschlagen. Mit gerunzelter Stirn schaute er Natiole an, der zu Boden sah und leicht den Kopf schüttelte.
    »Es war eine gute Schlacht«, erklärte Kerr ernsthaft.
    »Du solltest zurückkehren«, warf Natiole ein. »So oder so nach Hause.«
    »Heimkehr ist gut«, bekräftigte Kerr, dann hob er den Kopf. Über ihnen erhoben sich die abweisenden Wipfel der Sorkaten. Das Mondlicht ließ ihre weißen Gipfel kalt schimmern. Der Pfad führte sie direkt auf den Pass zu, den sie vor scheinbar ewiger Zeit in die andere Richtung genommen hatten. Aber Kerrs Blick wanderte zur Flanke des Berges, glitt über graues Gestein, bis er fand, was sein Herz schon gespürt hatte.
    »Dort.«
    Es war kaum auszumachen, wenig mehr als ein Felsvorsprung. Aber Kerr wusste, dass sich dahinter eine kleine Höhle befand, die erst enger wurde, sich dann aber weitete. Von dort zweigte ein Gang ab, der sie in die Tiefen der Welt führen würde.
    »Wir erreichen den Stein noch vor Sonnenaufgang«, stellte der Troll zufrieden fest. Keine Himmelslichter mehr!
    »Endlich«, donnerte Wrag, der sich aus den Schatten zweier Felsblöcke löste. Andas Kind rieb sich die Hände, und zum ersten Mal seit langer Zeit breitete sich ein Trollgrinsen auf seinem Gesicht aus. »Keine Scheißwagen, keine Scheißsonne, keine Scheißmenschlinge mehr!«
    Ohne auf Wrags Ausbruch zu achten, bestimmte Kerr: »Wir rasten im Dunkel der Höhle. Sobald alle erholt sind, ziehen wir durch die Gänge. Eure Tiere können nicht mit. Durch unsere Welt geht es nur zu Fuß.«
    Stumm nickten die beiden Menschen. Die Berge schienen
sie niederzudrücken, während ihre Nähe Kerr erleichterte. Die Last der letzten Zeit fiel von ihm ab. Er war nicht mehr Gefangener einer Welt, die er nicht verstand, sondern wieder ganz Troll. Nachdem er so lange den Ratschlägen der Menschen gefolgt war, konnte er nun wieder Kerr sein, dessen Rat vom Stamm und weit darüber hinaus geachtet und befolgt wurde.
    Wrag, der dies noch ursprünglicher als Kerr gespürt haben musste, ließ ihre Zeit im Imperium einfach hinter sich. Es war, als sei Andas Kind ausgewechselt worden, als habe es die vielen Dreeg an der Oberfläche gar nicht gegeben. Tief in sich spürte Kerr Neid, als er Wrags Veränderung bemerkte. Aber dann erinnerte er sich an die Geschichte seines Volkes. Wir haben aus unseren Fehlern gelernt. Wir vergessen sie nicht, wir schreiben

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