Der Zorn der Trolle - Hardebusch, C: Zorn der Trolle
sie auf. Das ist stark, nicht schwach. Aber auch diese Gedanken vergingen, als sie endlich die Höhle erreichten und die segensreiche Dunkelheit den Troll umfing.
Sie lagerten den halben Tag. Während Kerr sich ein Stück getrocknetes Fleisch nahm und es langsam aß, gesellte sich Ana zu ihm. Bald, schon bald kann ich aufhören, diesen getrockneten Mist zu essen. Der Gaumen des Trolls sehnte sich nach frischem Fleisch, nach Blut und Knorpel.
Zuerst schien die Menschin nichts sagen zu wollen, sondern blickte ihn nur an. Dann jedoch sprach sie: »Hier seid ihr zu Hause.«
Unsicher, worauf sie hinauswollte, brummte der Troll nur zustimmend.
»Jenseits der Berge liegt das Land. Das Land meiner Vorfahren. Und dennoch habe ich nicht das Gefühl, heimzukehren.«
»Ihr Menschen seid anders. Wir Trolle wissen, wo wir hingehören. Das Herz schlägt hier, unser Leben ist hier. Dort draußen«, er wies unbestimmt in Richtung des Ausgangs,
»im Imperium, das ist nichts für Trolle. Ich konnte es fühlen, Wrag und Zran konnten es fühlen. Hier ist es … richtig.«
»In Ardoly steht ein verwaister Thron. Ich hätte einen Anspruch auf ihn, ganz eindeutig. Wenn ich ihn nicht geltend mache, besteigt ein anderer den Thron meines Vaters, und es wird wahrscheinlich Krieg geben.«
»Es gibt immer Krieg.«
Manchmal machten sich Menschen zu viele Gedanken. Die Zeit hatte Kerr eines gelehrt: Krieg war ewig. Und wie sollte ein neuer Anführer gewählt werden, wenn nicht durch Kampf? Wenn man nicht wusste, wer der stärkste oder der gerissenste Troll war, wie sollte man wissen, wem das Recht zustand, den Stamm anzuführen?
Er und Ana saßen etwas abseits der anderen. Wrag hatte sich in die Dunkelheit geschlagen, so weit fort vom Sonnenlicht wie möglich, während die Menschen noch am Ausgang der Höhle lagerten. Sie mochten sich nicht von ihrer Welt trennen und genossen die letzte Zeit des Lichts.
»Aber ich könnte ihn verhindern. Wenn ich den Thron erringen könnte. Wenn ich nicht ein Bastard wäre, ein halb-wlachkischer Bastard.«
»Der Beste führt den Stamm. Man muss seinen Anspruch verteidigen können. Wer es nicht kann, dem folgt keiner.«
Sie schwiegen eine Weile, während Kerr weiter sein Fleisch aß.
»Wie bist du zum Anführer der Trolle geworden?«, fragte Ana unvermittelt. »War dein Vater oder deine Mutter euer Oberhaupt?«
Er schüttelte langsam den Kopf. »Ich bin nicht ihr Anführer. Nur ein Troll, auf den der Anführer hört. Manchmal.«
Die Menschin lachte leise. »Du klingst ja fast wie Sargan.«
Überrascht hob der Troll die Brauenwülste. »Wie der Halbzwerg? Lass das nur nicht Wrag hören.«
Beide wurden wieder ernst. Kerr konnte spüren, dass Ana nachdachte, aber er selbst wusste nicht, was er zu ihren Sorgen sagen sollte. Für ihn war es einfach; man kämpfte, bis der Feind besiegt oder vernichtet war oder man selbst. In diesen Dingen hatte er die Menschen niemals verstanden. Die Zögerlichkeit dieser Kriegerin war etwas, was kein Troll begreifen konnte.
Einige Zeit lang schwiegen Kerr und Ana, bis die Menschin seufzte. »Es ist schwer, wenn die eigene Welt zerbricht. Oben wird unten, richtig wird falsch, wahr wird unwahr. Man weiß nicht mehr, wo man steht. Wo man stehen kann.«
»Du hast zwei Beine, oder nicht? Statt dauernd darüber nachzudenken, wo sie hinpassen, solltest du sie vielleicht einfach auf den Boden stellen. Ich habe nicht darüber nachgedacht, ob ich ein Ratgeber sein wollte oder nicht. Ich habe gesagt, was ich für richtig hielt, und Pard und Turk haben auf mich gehört, wenn es das war, was du wissen wolltest. Wir Trolle leben in einer einfachen Welt«, fügte er hinzu.
»Eine einfache Welt«, wiederholte die Menschin. »Schwarz und weiß. Leider ist es bei uns meist nicht so einfach.«
Eigentlich hätte Kerr ihr sagen sollen, dass es die Schuld der Menschen sei. Sie machten ihre Welt kompliziert. Aber er schwieg, denn sie würde es nicht verstehen. So schlau die Menschen auch waren, in manchen Dingen waren sie unsagbar dumm.
Langsam erhob sich Ana. Sie streckte sich und sah den Troll eindringlich an. »Aber in einer Sache hast du vielleicht recht. Manchmal muss man einfach eine Entscheidung fällen. Ich werde zu Sciloi gehen und sehen, was sie darüber denkt. Sie kennt Ardoly und die Masriden besser als ich.«
52
Es war eine überraschende Mischung aus Vorfreude und Nervosität, die von ihm Besitz ergriffen hatte. Seine Pläne zeigten endlich Wirkung, auch jenseits der
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