Der Zorn der Trolle - Hardebusch, C: Zorn der Trolle
alle Bitterkeit aus ihrer Stimme herauszuhalten. Nach der großen persönlichen Freiheit, die sie in Teremi genossen hatte, schien ihr die Aussicht auf eine machtpolitische Vernunftehe, wie sie ihr nun vermutlich im Imperium bevorstand, verheerender denn je.
»Vielleicht seid Ihr bei meinem nächsten Besuch in Colchas ja schon die nächste Frau des Goldenen Imperators?«, fragte er. Die Worte waren sicherlich nur scherzhaft gemeint, doch der Witz misslang.
»Wenn mein Vater den Krieg zwischen Dyrien und Wlachkis nicht verhindern kann, dann werden wir uns vermutlich nie wiedersehen«, stellte Artaynis nüchtern
fest, und erst in dem Moment, als sie es aussprach, wurde ihr selbst klar, dass es die entsetzliche Wahrheit war.
Betreten blickte Natiole zu Boden. »Verzeiht mir.« Plötzlich sah er wieder so verloren aus wie in Teremi, als sie gemeinsam in der Küche gesessen hatten. »Wenn Ana ihren Führungsanspruch nicht durchsetzen kann und wenn es zwischen Ardoly und Wlachkis zu einem Bürgerkrieg kommt, dann mögen die Geister mit meinem Volk Erbarmen haben. Am Ende bräuchte die dyrische Armee bloß zu warten, bis wir uns gegenseitig umgebracht haben, und könnte das gesamte Land zwischen den Bergen dann ganz einfach überrennen.«
51
Vorsichtig griff Kerr an den Beutel und fühlte nach, ob die Speerspitze noch sicher war. Für sie hatten sie die ganze, endlose Reise getan, hin und zurück, für sie war Zran gestorben, für sie würde Wlachkis vielleicht in den Krieg ziehen.
Immer wieder berührte der Troll das unscheinbare Stück Metall, als befürchtete er, dass es einfach verschwinden könnte, wenn er es nicht tat. Aber die Speerspitze blieb fest und wirklich, ein leichtes Gewicht in seiner Hand.
Kerrs Blick wanderte zu Wrag, der einige Trollschritt entfernt von ihm lief. Die Bewegung und die Aussicht auf eine Heimkehr in die Welt unter den Bergen belebte Andas Kind sichtlich, aber Kerr konnte immer noch seinen Zorn auf den anderen fühlen. Zu deutlich hatte er noch Zrans Tod vor Augen, dem Wrag hätte beistehen sollen. Beistehen müssen, wie ein richtiger Troll, dachte Kerr. Nur gut, dass ich die Speerspitze habe. Wenn der Dunkelgeist erst geheilt ist, werden vielleicht auch Andas Kinder geheilt und endlich wieder sein wie wir.
Sie kamen gut voran. Es war vor allem Natiole, der sie antrieb. Auch Kerr wollte zurück in seine Heimat, aber der junge Mensch war von einer noch größeren Eile beseelt, die ihn vollkommen rastlos machte. Die Menschen hatten ihre Reittiere mehrfach gewechselt, und auch die Zugtiere der Karren waren ausgetauscht worden. Einige Orte hatten sie umgehen müssen, bei anderen hatten die beiden Trolle sich in den Wagen verborgen. Aber die Menschen bewachten sie, sowohl Natiole mit seinen Wlachaken als auch Ana mit ihren sieben Kriegern, die sie begleiteten.
Jede Nacht und mit jedem Schritt, den sie taten, wurde der Herzschlag des Landes lauter. Sein Klang rief Kerr heim. Wieder fuhr seine Hand zu dem Beutel. Die Speerspitze war zwar mit Gravuren verziert, aber letztendlich war sie ein einfaches Ding, eine metallene Spitze, dafür gemacht, zu verletzten und zu töten. Es verwunderte Kerr immer noch, dass so ein kleines Stück Metall dem Weißen Bären solch eine furchtbare Wunde hatte zufügen können. Die Gerätschaften der Menschen. Unscheinbar, aber tückisch. Sie machen aus schwachen Wesen gefährliche Krieger.
Als hätte Wrag Kerrs Gedanken gespürt, schnaubte er abfällig. Aber vermutlich war es nur die Nähe Natioles und Anas, die Andas Kind verärgerte. Mit einigen Schritten verschwand Wrag vom Weg, tauchte in die Dunkelheit ein und verschmolz mit ihr. Für die Menschen mochte er jetzt unentdeckbar sein, doch Kerr spürte seine Anwesenheit immer noch. Der Herzschlag des Landes war hier schon viel stärker, und sein steter Klang beruhigte sowohl ihn als auch Andas Kind.
Kerr lief langsamer, ließ die Menschen auf ihren Pferden zu ihm aufschließen. Sie unterhielten sich leise, schwiegen aber, als sie ihn erreichten.
»Wo ist Wrag?«, erkundigte sich Natiole. Zur Antwort zuckte Kerr mit den Schultern.
Bislang hatte Ana sie gut geführt, und Kerr vertraute darauf, dass es auch so bleiben würde, bis sie ihre heimischen Höhlen und Gänge erreichten. Hinter ihnen ritt eine dritte Person, die Menschenfrau, die Sciloi genannt wurde. Bei aller Zurückhaltung schien sie insgeheim mächtig zu sein, denn sowohl Natiole als auch Ana behandelten sie mit einer seltsamen Mischung aus
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