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Der Zorn der Trolle - Hardebusch, C: Zorn der Trolle

Titel: Der Zorn der Trolle - Hardebusch, C: Zorn der Trolle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hardebusch
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in dem Gang, auf den er zuvor gedeutet hatte.

    Azot lief weiter, aber Kerr blieb einige Augenblicke stehen und lauschte den Schritten von Andas Kind.
    Dann erst folgte er Azot.
     
    Oft hatte Kerr mit dem Gedanken gespielt, in diese Höhle zurückzukehren. Die Schatten zu spüren, die Nähe des Herzens. Den Gang zu betreten, in dem Pard sein Ende gefunden hatte, tödlich verwundet, aber unbesiegt. Auf seinen Wanderungen war er der Höhle manchmal nahe gekommen, aber er war niemals hineingegangen. Es war, als trieben ihn die Dreeg immer wieder fort. Auch jetzt musste er sich überwinden, um die letzten Schritte zu wagen, beharrlich einen Fuß vor den anderen zu setzen. Deswegen bin ich den ganzen weiten Weg gegangen, schalt er sich selbst. Ich muss mir ein Beispiel an Azot nehmen. Anders als er trat Andas Kind ohne zu zögern in die Höhle. Einige Herzschläge lang zögerte Kerr noch, dann tat er es ihm gleich.
    Anders als an der Oberfläche gab es unter der Welt nur wenige Veränderungen, und diese fanden oft langsam und kaum merklich statt. Die Höhle war noch so, wie Kerr sie in Erinnerung hatte. Und noch immer gab es die Schatten, wirbelnde Formen, die selbst in der absoluten Dunkelheit zu erahnen waren. Von diesem Ort gingen die Dreeg aus, hier lag das Herz des Landes in seinem von Alpträumen erfüllten Schlaf. Kerr wusste mehr über den Dunkelgeist als jeder andere Troll; einst hatte er dessen Essenz in sich aufgenommen. Für wenige Momente nur, aber lang genug, um sich für immer zu verändern. Er war seither enger mit dem Herzen verbunden als die anderen Angehörigen seines Volkes, spürte seinen Schlag lauter, konnte seine Qualen nachfühlen.
    Das Herz war unruhig. Kerr spürte seine Angst. Vielleicht erinnerte es sich an Anda, die das Herz verletzt hatte, um von seinem Blut zu trinken und seine Macht zu erlangen.
Vielleicht spürte es den aufziehenden Krieg, all das Blutvergießen und den Schmerz, den es würde ertragen müssen. Kerr wusste, dass es alles spürte, was im Land geschah, an der Oberfläche und darunter, vom Himmel bis in die tiefsten Knochen der Welt. Das Herz war das Land.
    Nervös zog er die Speerspitze aus dem Beutel und hielt sie vor sich. Er spürte Azots Gegenwart; Andas Kind beobachtete ihn genau. Als wäre sie ein Schild, hielt Kerr die Spitze vor sich und trat langsam an das Herz heran. Mit jedem Schritt fiel die Aufregung weiter von ihm ab. Sein Herzschlag wurde langsamer, passte sich an die Dreeg an, wurde schließlich zu den Dreeg. Die Schatten vor ihm verloren ihren Schrecken, wurden einladend, freundlich.
    Er ging in ihnen auf.
    Das Land um ihn wurde weit, wurde alles. Bäume wuchsen auf ihm, und in den Bäumen sprangen Eichhörnchen und anderes kleines Getier umher. In den Blättern summten Insekten, Würmer bohrten sich durch seine Erde, Menschen schritten über ihn, bauten Hütten und Häuser aus ihm. Unermüdlich schlugen Zwerge den Fels, gruben Metall aus ihm. Trolle zogen durch ihn, Vînai verbargen sich in ihm. Sein Atem fuhr durch das Land, sein Herzschlag war das Land.
    Eine ungeheure Traurigkeit erfüllte ihn. Das Land zersprang unter seinen Schritten. Seine Schritte wankten unter dem Land. Alles strömte auf ihn ein, stürzte auf ihn zu, riss ihn herum, schmerzte ihn. Die Qual schlug Krallen in seinen Geist, eine endlose, unvergängliche Pein.
    Als Kerr zurücktaumelte, brannte seine Brust. Gierig atmete er ein, und die Luft war wie Feuer in seinen Lungen. Die verwirrenden Bilder tanzten noch durch seinen Geist, und er konnte nicht sagen, wo er war. In der Höhle? Oder war er die Höhle? Jemand packte ihn, trug ihn fort vom Herzen, dessen Schlag mit ungeheurer Wucht in seinem Inneren echote.

    Es dauerte lange, bis der Troll sich seiner wieder bewusst wurde. Er war in den Dunkelgeist getreten, und der Dunkelgeist war in ihn getreten. Etwas Warmes, Feuchtes fiel auf seinen Leib: Trollblut.
    »Was ist geschehen?«
    »Du warst fort.«
    »Wie lange?«
    »Nur einen Dreeg.«
    »Du blutest.«
    Azot knurrte und rieb sich über die Haut.
    »Eine alte Wunde. Sie hat sich geöffnet. Du hast … Das Land war fern. Ich war schwach. Wie damals, als Pard Anda getötet hat.«
    Vorsichtig richtete Kerr sich auf. Seine Sinne spielten ihm Streiche; er konnte kaum sagen, wo oben und wo unten war. Lediglich die Dreeg spürte er laut und klar, und sie zeigten ihm die Welt in aller Deutlichkeit.
    »Ich war das Herz. Ich … ich habe nach Antworten gesucht. Nach Heilung.«
    »Hast du sie

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