Der Zorn der Trolle - Hardebusch, C: Zorn der Trolle
zwischen den Bäumen war undurchdringlich, und Şten hielt etwa ein Dutzend Schritt von ihnen entfernt an.
»Kerr?«, rief er in die Dunkelheit.
Einige Augenblicke hielten sie inne und lauschten in den Wald. Es raschelte, weiter entfernt brach ein Ast, und der Wind ließ die Blätter rauschen. Dann löste sich eine Gestalt aus der Dunkelheit, ein gewaltiges, massiges Wesen, das Natiole überragte, obwohl er noch auf dem Rücken seines Pferdes saß.
»Şten«, grollte es und entblößte dabei fingerlange Hauer.
Schon als Natiole noch klein war, hatte sein Vater ihn zu einem Treffen mit dem Troll namens Kerr mitgenommen. Er hatte niemals vergessen, wie das Wesen über ihm gestanden
hatte, scheinbar unfassbar riesig, mit seiner dunklen, knotigen Haut, den langen Hörnern und den Pranken mit den furchteinflößenden Klauen. Weder damals noch heute war es ihm schwergefallen, dem Troll Respekt entgegenzubringen. Allein seine Präsenz forderte dies ein. Aber das Vertrauen, das sein Vater in die gewaltigen Kreaturen hatte, war ihm unbegreiflich.
»Schön, dich zu treffen«, befand Şten und stieg vom Pferd. Natiole tat es seinem Vater gleich, und auch Ionnis gesellte sich zu ihnen. Die Pferde waren in Anwesenheit der Trolle unruhig, sie standen mit geblähten Nüstern da, und ihre Ohren kreisten nervös.
»Und dich, Mensch. Ich bin aus einem bestimmten Grund hier.«
»Das dachte ich mir bereits. Wenn es nicht wichtig wäre, hättest du sicherlich noch bis zu unserem nächsten Treffen gewartet. Ich hoffe, es ist nichts Schlimmes passiert?«
Die Worte hingen in der Luft, bis Kerr sagte: »Nein. Aber ich bin nicht allein. Ich habe zwei bei mir.«
Zwei weitere Schemen lösten sich bei diesen Worten aus dem Dunkel des Waldes. Einer war noch größer als Kerr, ein gewaltiger, kämpferisch wirkender Troll. Das andere Wesen jedoch überragte selbst seinen Begleiter um zwei oder drei Köpfe und schien einzig aus geformter Dunkelheit zu bestehen. Sein Anblick ließ Natiole einen Schritt zurückweichen und nach seinem Schwert greifen. Neben ihm stieg Ionnis’ Pferd hoch, und sein Bruder riss an seinen Zügeln, um es zu bändigen. Selbst Şten hatte einen Fuß nach hinten gesetzt und die Hand an die Waffe gelegt.
»Was … bei den Geistern?«, keuchte Natioles Vater, aber Kerr trat beruhigend zwischen die Menschen und die beiden Neuankömmlinge.
»Das sind Zran und Wrag. Wrag ist ein Kind von Anda.«
»Ein Tiefentroll«, entfuhr es Ionnis, der sein Reittier gerade wieder so weit beruhigt hatte, dass es nicht mehr davonstürmen wollte.
»So nennt ihr sie«, bestätigte Kerr.
Fasziniert betrachtete Natiole das gewaltige Wesen, neben dem die Trolle sich geradezu klein ausnahmen. Es hatte eine raue Haut, und seine Hörner und Hauer waren noch gewaltiger als bei den Trollen. Besonders fielen dem jungen Wlachaken aber seine Augen auf: sie waren schwarz, ohne Pupille, einfach gänzlich schwarz, wie Löcher im Schädel. Dennoch konnte er den Blick eines gerissenen Jägers aus den Augen des Tiefentrolls auf sich ruhen spüren, und er erschauderte. Tiefentrolle waren fremdartige Wesen, noch mehr als Trolle, und es hieß, dass sie gnadenlose Monster waren, denen das Töten Freude bereitete.
»Ich möchte mit dir über das Herz reden, Şten. Über den Dunkelgeist. Ich will erfahren, was mit ihm geschah. Was die Menschen ihm angetan haben«, erklärte Kerr, während sich seine Begleiter im Hintergrund hielten. Keiner der beiden hatte bislang ein Wort gesagt, aber Natiole konnte ihr Misstrauen fast körperlich spüren.
Der Tiefentroll hob immer wieder den Kopf, als schaue er zum Himmel, und jedes Mal verfinsterte sich seine Miene noch weiter, sofern dies überhaupt möglich war.
»Gut. Aber mein Wissen ist begrenzt. Vermutlich sollten wir mit Vintila sprechen. Er ist ein Geistseher, so wie Vangeliu einer war. Leider ist er in Teremi geblieben. Könnt ihr dorthin mitkommen? Ich könnte euch vermutlich über Tag mit einem Karren fahren lassen.«
Der Tiefentroll knurrte wütend und richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Sofort fuhr Kerr herum. Es wurden keine Worte gewechselt, nichts Offensichtliches geschah, doch das Monstrum schien sich wieder zu beruhigen. Insgeheim freute sich Natiole, dass es ein Fehler gewesen war, Vintila nicht mitzunehmen.
»Wir werden tun, was du für richtig hältst«, erwiderte Kerr schließlich. »Aber du musst über uns wachen.«
»Natürlich, mein Freund, natürlich. Es wird keine
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