Der Zorn des Highlanders
Das würde ihm Probleme bereiten. Avery und Gillyanne hatten offensichtlich ihre guten Aussichten auf eine gelungene Flucht verworfen, um ihn und seine Leute zu warnen. Sie brachten sich sogar selbst in Gefahr. Seine Leute würden den Mädchen dafür bestimmt eine Belohnung zuerkennen wollen. Kurzzeitig versuchte Cameron, sich zu überreden, dass Avery es nur tat, weil sie als Belohnung ihre Freiheit und eine sichere Begleitung nach Hause erwartete – aber er schaffte es nicht. Sein gut gepflegter Zynismus reichte nicht aus, um an solche Beweggründe zu glauben.
Trotzdem würde er an seinem Plan festhalten. Die Bedürfnisse seiner Schwester hatten an erster Stelle zu stehen. Avery zu benutzen, war noch immer der beste Weg, um die Schmach seiner Schwester zu rächen und ihr den notwendigen Ehemann zu verschaffen. Seine Vermutung, dass Avery dieses Verhalten wahrscheinlich sogar verstehen würde, minderte seine Schuldgefühle nicht. Sie würde ihn nie vergessen lassen, dass er nun in ihrer Schuld stand, aber sie würde dennoch verstehen, warum er sie nicht mit der Freiheit belohnen konnte.
»Ein Überfall!«, schrie Avery, als sie in das Lager der MacAlpins galoppierte und ihr Pferd so scharf zügelte, dass es sich aufbäumte. »Die DeVeau sind auf dem Weg hierher.«
»Aber sie sind nicht unsere Feinde«, sagte Klein-Rob.
»Jetzt sind sie es«, rief Cameron, als er heransprengte und absprang, bevor sein Pferd ganz zum Stehen gekommen war. »Sie wollen ihr Geld zurückhaben.«
»Wie nahe sind sie?«, fragte ein korpulenter Mann.
Cameron sah Avery an. »Waren diese Männer Späher?«
»Ja. Gilly und ich haben einen ziemlich großen Trupp gesehen und konnten wahrscheinlich nicht viel Vorsprung gewinnen. Ich würde sagen, höchstens ein paar Minuten.« Avery stieg ab und half Gillyanne herunter.
»Oder weniger«, fügte Gillyanne hinzu und deutete auf eine kaum sichtbare Staubwolke über den Bäumen.
Avery und Gillyanne rannten zusammen mit den anderen Frauen eilig aus dem Lager. Auf der Flucht ergriffen sie, was sie an Vorräten und Sachen tragen konnten. Sie wurden von drei Pagen und zwei Knappen begleitet, die die Pferde mitnahmen. Nur einige Meter vom Lager entfernt hielten sie im Schutz von Bäumen an. Es war ihre traurige Pflicht, dem Kampf als Zuschauer beizuwohnen, bereit zur Flucht, falls die Schlacht sich zuungunsten ihrer Männer wenden sollte. In diesem Fall würde nur ein Page zurückbleiben und sich verstecken, bis alles vorbei war, damit er den Ausgang berichten und sie wissen lassen konnte, ob es Verwundete gab, die man versorgen musste. Avery fragte nicht, ob sie auch die Toten einsammeln und begraben würden.
Während sie beobachtete, wie Camerons kleine Truppe sich bereit machte, einer zweimal so großen Streitkraft zu begegnen, betete Avery. Sie bat Gott, dass die MacAlpins keinen zu hohen Preis für die Dummheit zahlen mussten, sich mit einem DeVeau eingelassen zu haben. Sie betete dafür, dass DeVeaus Söldner nicht zu viele Männer verlieren wollten, um ihrem Herrn den gezahlten Sold zurückzubringen. Sie betete auch, dass ihre Cousine und sie, falls der schlimmste Fall eintreten sollte, sich nicht in den Händen ihres alten Feindes wiederfinden würden.
Der erste Zusammenprall der Krieger war heftig, schnell und laut. Avery taumelte, als hätte sie selbst dem ersten Ansturm standgehalten. Den Umstehenden entrang sich ein leises Stöhnen, und ihr wurde bewusst, dass sie nicht die Einzige war, die den Angriff so hautnah erlebte. Zweifellos konnte niemand beim Anblick dieses wuchtigen und gewaltsamen Zusammenpralls schweigend und ruhig stehen bleiben.
Cameron und seine Männer hatten sich auf einer kleinen Anhöhe versammelt, die hoch genug war, um ihnen einen Vorteil zu verschaffen. Sie ermöglichte es ihnen, gegen die anstürmenden Reiter auf gleicher Höhe zu kämpfen, und verschaffte ihnen gegenüber DeVeaus Männern einen kleinen, aber willkommenen Vorteil. Die MacAlpins formierten sich zu einem geschlossenen Kreis, in dessen Mitte zwei geschickte Bogenschützen standen. Wenn DeVeaus Söldner nicht allzu zielstrebig waren, war Camerons Schlachtplan vielleicht erfolgreich. Avery spürte, wie in ihrem Herzen Hoffnung aufkeimte.
Bald wurde es unmöglich, das gesamte Kampfgetümmel zu überblicken, also heftete Avery ihren Blick fest auf Cameron. Jedes Mal, wenn die Feinde ihn bedrängten, hielt sie den Atem an, und jedes Mal, wenn er sie wieder zurückstieß, atmete sie aus. Die leisen
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