Der Zorn des Highlanders
plötzlich sicher, dass es da etwas gab, das sie ihm erzählen mussten, obgleich sie wussten, dass er es nicht gut aufnehmen würde. Er trank seinen Wein aus und hielt den Kelch zum Nachschenken hin. Dass Avery zuerst seinen, dann ihren Kelch füllte, konnte ihn nicht sonderlich beruhigen. Avery trank normalerweise nicht viel, und sie hatte gerade einen ganzen Becher Wein hinuntergestürzt. Die Nachrichten mussten in der Tat sehr schlecht sein, wenn sie das Bedürfnis hatte, sich so zu wappnen.
»Was immer ihr mir sagen wollt, ich werde es nicht gerne hören, oder?« Er seufzte, als beide den Kopf schüttelten. »Dann spuckt es besser gleich aus.«
»Ich muss dir zuerst ein paar Fragen stellen«, sagte Avery, die an ihrem Wein nippte, um ihre plötzlich trockene Kehle anzufeuchten. »Es gibt da die eine oder andere Kleinigkeit, die wir überprüfen müssen, um sicherzugehen, dass wir recht haben. Hast du, bevor du Schottland verlassen hast, eine Anne Seaton gekannt?« Die kalte, harte Wut, die sich auf seinem Gesicht spiegelte, war die einzige Antwort, die Avery benötigte.
»Ja. Sie war, bevor ich nach Frankreich kam, für einige Zeit meine Geliebte.«
»Ist das länger her, oder war das kurz vor deiner Abreise?« Avery hoffte flüchtig, dass es vor langer Zeit gewesen war. Alan war ein wunderbarer kleiner Junger, und sie wusste, dass Cameron ihm ein guter Vater sein würde. Sie wollte ihm aber einfach nicht sagen müssen, dass er das Opfer eines Betrugs war, der mehr Schaden verursachte als nur verletzten Stolz. Dies war nicht nur die Geschichte einer Frau, die einem Mann seinen Sohn vorenthielt – die Dinge lagen viel schlimmer. Avery wusste, dass sie in Cameron alle schlechten Gefühle in Bezug auf Frauen wieder zum Leben erwecken würde. Sie verdiente es nicht, für die Verbrechen dieser anderen Frau zu leiden, zweifelte aber nicht daran, dass sie es musste.
»Kurz vorher«, antwortete er. »Ich habe sie verlassen, als ich sie mit einem anderen Mann im Bett gefunden habe, und bin im selben Monat nach Frankreich gereist.«
»Und diese Anne Seaton hat in einem kleinen Dorf gewohnt, an der Straße zum Hof des Königs?«
»Ja. Ich habe dieser Hure ein kleines Häuschen vor dem Dorf gekauft. Was hat das alles zu bedeuten, Avery?«
»Bitte, Cameron, habe ein bisschen Geduld.« Sie atmete tief durch, denn eigentlich wollte sie die Antwort auf ihre nächste Frage nicht hören. Doch sie wusste, dass es wichtig war, die Wahrheit zu erfahren. »Du hast sie also besucht und mit einem anderen Mann ertappt? Du hast also nicht mit ihr geschlafen?«
»Ich war kurz bei ihr zu Besuch und habe am Morgen meiner Abreise mit ihr geschlafen. Dann bin ich Richtung Königshof aufgebrochen. Weil ich etwas vergessen hatte, bin ich zu dem Häuschen zurückgekehrt. Der Idiot, mit dem sie im Bett war, hatte scheinbar gerade so lange gewartet, bis ich außer Sichtweite war.«
»Habt Ihr Euch vorgesehen, als Ihr mit ihr geschlafen habt?«, fragte Gillyanne.
Camerons Schock über die unverblümte Frage des Mädchens kam und ging schnell wieder, ein Schauer lief ihm über den Rücken. Soweit er sah, gab es nur einen vernünftigen Grund für die Frage, ob er sich das letzte Mal mit dieser Frau im Bett vorgesehen hatte. Er betrachtete die ernsten Gesichter der Mädchen, während er betete, dass seine Vermutung sich als unwahr erweisen würde. Doch ihre Mienen trösteten ihn nicht.
»Nein«, fuhr er auf, »sie hat mir gesagt, sie sei unfruchtbar.«
»Sie war nicht unfruchtbar, Cameron«, warf Avery mit gedämpfter Stimme ein. »Sie hat einen Sohn. Einen kleinen Jungen mit schwarzen Haaren, schwarzen Augen, dunkler Haut und einem kleinen Muttermal auf dem Bauch, das wie ein Stern aussieht.« Avery war erstaunt, dass Gillyanne Cameron so gelassen mustern konnte, denn sie fand die Wut dieses Mannes ausgesprochen beklemmend. »Dieses letzte Stelldichein war offensichtlich ein fruchtbares.«
»Woher wisst ihr das alles? Woher kennt ihr überhaupt Anne Seaton?«
»Ich kenne sie nicht, sondern habe die Geschichte nur gehört. Unsere Cousine Elspeth hat alles über diese Frau in Erfahrung gebracht. Aber niemand wusste, wer der Vater des Kindes war. Es scheint, dass in diesem Dorf nur Anne, der frühere Besitzer des Häuschens und der arme, verängstigte Esel, den du in ihrem Bett gefunden hast, dich jemals richtig zu Gesicht bekommen haben. Eine meiner Cousinen wurde von Sir Colin MacRae entführt und kurze Zeit in diesem Häuschen gefangen
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