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Der Zorn Gottes

Der Zorn Gottes

Titel: Der Zorn Gottes
Autoren: Paul Harding
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Pfarrhaus, um zur Feier des Tages einen Becher
     Wein zu trinken. Watkin stolzierte ins Haus wie ein erfolgreicher
     Rechtsanwalt vors Hofgericht. Er hatte den Namen seiner Familie gepriesen
     und den Ruf seiner Tochter verteidigt; er hatte seinen großen
     Rivalen, Pike den Grabenbauer, zur Räson gebracht und überredet,
     seinen Vorschlag anzunehmen. Athelstan schenkte den Wein ein, ohne Pike in
     die Augen zu schauen, und während sie auf das junge Paar tranken,
     betete er stumm, Watkin möge nie herausfinden, wie er überlistet
     worden war.
    Als sie gegangen waren, nahm
     Athelstan ein kleines Frühstück zu sich und ging dann zurück
     in die verlassene Kirche, um sein Brevier zu beten. Danach räumte er
     den Küchentisch ab und legte sein Schreibzeug zurecht: Federkiel,
     Tintenhorn, Bimsstein und eine Rolle neues Pergament, die Cranston ihm
     geschenkt hatte. Als er damit fertig war, setzte er sich und schrieb alles
     auf, was er und Cranston über Ira Dei erfahren hatten und wie
     Mountjoy erstochen, Fitzroy vergiftet und Sturmey in Billingsgate plötzlich
     und gewaltsam zu Tode gebracht worden war. Die Zeit verging. Athelstan
     legte eine Pause ein und aß ein wenig Suppe, Dörrfleisch und
     Brot. Er ging zum Beten in die Kirche und spazierte dann auf dem Friedhof
     umher und dachte über das nach, was er geschrieben hatte. Er
     zeichnete einen neuen Plan vom Garten des Rathauses und eine Sitzordnung
     des Banketts, bei dem Fitzroy gestorben war. Ab und zu fiel ihm noch etwas
     ein, das er dann säuberlich einfügte.
    Als es dämmerte, glaubte
     Athelstan, alles aufgeschrieben zu haben, und er begann, seine Notizen
     aufmerksam zu studieren. Lächelnd dachte er daran, wie seine Mutter in einem alten Umhang
     einen losen Faden gesucht und wie sie ihn, wenn sie ihn gefunden hatte,
     sorgfältig herausgezupft und die kostbare Wolle aufgeribbelt hatte.
     Aber hier fand sich nirgends ein loser Faden.
    »Kaltblütiger Mord«,
     murmelte er bei sich. »Kein Verbrechen aus Leidenschaft, keine
     ungestüme Geste, die den Mörder verraten könnte.«
     Seine Liste enthielt nicht weniger als acht mögliche Schuldige, und
     wer Ira Dei war, blieb weiterhin ein Geheimnis.
    Athelstan stand auf und
     streckte sich; er zündete die Kerzen an und entfachte das Feuer, als
     Bonaventura durch das offene Fenster hereinglitt.
    »Guten Abend, mein
     Prinz der Gassen.«
    Der große Kater reckte
     sich vor dem Kamin, und seine rosarote Zunge blitzte hervor. Er schnurrte
     vor Behagen, als Athelstan einen Krug Milch aus der Speisekammer holte und
     seinen verbeulten Zinnapf damit füllte. Der Bruder hockte sich nieder
     und streichelte den einäugigen Kater zwischen den Ohren.
    »Ich wünschte, ihr
     Tiere könntet sprechen«, sagte er leise. »Ich wünschte,
     ich wäre wie der große Franz von Assisi und hätte die
     Gabe, mit den kleinen Geschöpfen Gottes zu reden. Was für
     Geheimnisse siehst du, hm, Bonaventura? Wieviel Böses beobachtest du,
     wenn du in den Straßen und Gassen auf Jagd gehst?«
    Bonaventura schleckte weiter
     seine Milch, und sein Schwanz zuckte vor Behagen hin und her. Athelstan
     erhob sich, nahm einen Schluck aus seinem Bierhumpen und widmete sich
     wieder seinem Problem. Es wurde dunkel; Eulen schrien draußen auf
     dem Friedhof, und der Bruder wurde immer gereizter. Er ging die Treppe
     hinauf und holte die Schriftrolle mit den fünfzehn Jahre alten
     Ermittlungsprotokollen, die er von Cranston bekommen
     hatte und in der auch von Sturmey die Rede war. Unten setzte er sich hin,
     legte sein Lineal unter jede Zeile, um gründlicher zu lesen, und
     studierte das Dokument aufmerksam.
    »Oh Herr, hilf mir«,
     betete er. »Bitte, nur einen losen Faden!« Er las und las, und
     dann fand er etwas, in einer Ecke am Rande des Manuskripts, wo der
     Schreiber eine kleine Anmerkung hingeschrieben hatte. »Oh Herr, Du
     bist unser Erretter!« flüsterte er. »Oh ja, natürlich!«
    Der Ordensbruder löschte
     die Kerze, stapfte die Treppe hinauf, legte sich auf sein Bett und starrte
     an die Decke. An einem so schönen Herbstabend, zumal an einem
     Sonntag, wäre er gewöhnlich auf seinem Kirchturm gewesen, um die
     Sterne zu betrachten und mit Bonaventura über die Theorien Roger
     Bacons zu debattieren. Aber er mußte gestehen, daß das Studium
     des menschlichen Herzens noch faszinierender war. Er begann, eine logische
     Erklärung zu konstruieren, die am Ende hoffentlich den Mörder
     ans Licht Gottes
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