Der Zuckerkreml
Anordnung der Stadtverwaltung. Den roten Fäustling gegen die bekrakelten Wände
klatschend, lief Marfuscha zu Fuß aus dem achten Stock nach unten. Das Treppenhaus
war schmutzig, Müll lag herum, Scheiße in angetrockneten Kringeln, was auch kein
Wunder war: Das Haus gehörte ja den Bojaren, und auf die war der Gossudar schon seit
sechs Jahren nicht gut zu sprechen. Gottlob hatten Opritschniki die Malaja Bronnaja
gekauft, sonst wäre es dort auch so zugegangen wie in der Ostoshenka und der
Nikitskaja. Wie die staatsfeindliche Nikitskaja abgefackelt worden war, das wusste
sie noch. Über ganz Moskau hatte der Rauch gestanden …
Marfuscha trat aus dem Hauseingang. Draußen lag Schnee und
auf ihm das gleißende Licht der lieben Sonne. Die Kinder waren schon im schönsten
Spiel: Serjoscha Burakow, Sweta Rogosina, Witka, das »Rüsselchen«, Tomilo, der Junge
aus Nummer dreizehn, und dazu irgendwelche räudigen Lumpenkinder vom Sadowoje. Sie
spielten Opritschnik und Edelmann, wie die ganze Weihnachtswoche schon: Die
Edelleute haben sich aus Schnee ein Landgut gebaut und darin verschanzt, die
Opritschniki umzingeln sie und rufen: »Schuld und Sühne!« Die Edelleutekaufen sich mit Eiszapfen frei, solange sie welche haben.
Irgendwann sind sie alle, und das Gut wird von den Opritschniki gestürmt. Marfuscha
kam eben dazu, wie die Schneebälle flogen und die Opritschniki pfiffen und johlten:
»Dran und drauf! Dran und drauf!«
Marfuscha ließ die Schlacht links liegen. Ein Schneeball
traf sie in den Rücken.
»He, Marfa, mach doch mit beim Hauen und Stechen!«
Marfuscha blieb stehen. Swetka und Tomilo kamen gerannt,
beide mit erhitzten Gesichtern.
»Wo willst du hin?«
»Brot holen, zum Frühstück.«
Der schlitzäugige Tomilo zog den Rotz hoch und sagte:
»Hast du schon gehört, auf dem Wspolnoi haben die Jungs unanständige Wörter in den
Mund genommen. Welche mit F und mit V!«
»Ach du Schreck!« Marfuscha schüttelte den Kopf. »Und wer
hat es gemeldet?«
»Saschka von den Habichten. Er hat Serjoscha angerufen und
Serjoscha seinen Vater. Der hat es gleich beim Revier angezeigt.«
»Gut gemacht.«
»Spiel doch mit. Nur eine Runde! Du darfst auch die
Fürstin Bobrinskaja sein!«
»Geht nicht. Meine Eltern warten.«
Marfuscha lief los. Ließ den Hof hinter sich, lenkte ihre
Schritte zu Choprows Kaufmannsladen. Der war hübsch geschmückt: zwei geputzte
Tannenbäume vor dem Eingang, die Schaufenster voll lebender Schneeflöckchen, ein
einziges Schillern. Und in einer Ecke der Auslage: Schneewittchen und Großväterchen
Frost in einemSchlitten aus Eis! Marfuscha betrat den Laden, das
kupferne Glöckchen schellte. Drinnen standen die Leute Schlange – nicht gar zu
viele, dreißig vielleicht. Hinter einem alten Mann in chinesischer Wattejacke
stellte Marfuscha sich an. Ihre Augen hingen an der Auslage. Da lag hinter Glas
beisammen, womit zu handeln anstand: Fleisch mit Knochen und ohne, Enten und Hühner,
Kochwurst und Räucherwurst, Frischmilch und Sauermilch, Butter und Margarine,
Bonbons der Sorte Teddy Tolpatsch und
Bonbons der Sorte Teddy am Nordpol. Außerdem Wodka und Korn, eine Sorte Zigaretten (Rodina) und eine Sorte Papirossy (Rossija), Apfelmarmelade und Pflaumenmarmelade, Pfefferkuchen mit
Minzgeschmack und ohne, Zwieback mit Rosinen und ohne, klarer Zucker und
Würfelzucker, Weizengrütze und Buchweizengrütze, Schwarzbrot und Weißbrot. Obwohl
Marfuscha nur Brot und die Papirossy für Großvater kaufen wollte, würde sie sich
gedulden müssen, bis sie an der Reihe war. Auf einmal aber hörte sie vom Kopf der
Schlange her ein bekanntes Stimmchen:
»Ein halbes Pfund Würfelzucker, einen Laib Schwarzbrot,
ein Viertel Roggenbrot und für einen Griwennik Apfelmarmelade.«
Sina Schmerlina aus Aufgang drei. Im Nu stand Marfuscha
neben ihr.
»Sina, für mich noch ein Brot und Papirossy.«
Zögernd nahm die schwarzäugige, schwarzhaarige Sina den
Rubel von ihr entgegen. Und hinter ihr in der Schlange kam sogleich Unmut auf:
»He, du Hudelhühnchen, kannst du nicht anstehen, wie es
sich gehört?«
»Vordrängeln, so weit kommt’s noch! Lasst sie ja nicht
dazwischen!«
»Wir wollen auch bloß Brot kaufen!«
»Pack dich, durchtriebenes Stück!«
Aber heute stand Choprow persönlich hinterm Ladentisch,
und der war kinderlieb.
»Hört auf zu keifen, lasst das Mädel in Ruh! Als hättet ihr es
sonst wie eilig!
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