Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zuckerkreml

Der Zuckerkreml

Titel: Der Zuckerkreml Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
Vom Netzwerk:
Anordnung der Stadtverwaltung. Den roten Fäustling gegen die bekrakelten Wände
     klatschend, lief Marfuscha zu Fuß aus dem achten Stock nach unten. Das Treppenhaus
     war schmutzig, Müll lag herum, Scheiße in angetrockneten Kringeln, was auch kein
     Wunder war: Das Haus gehörte ja den Bojaren, und auf die war der Gossudar schon seit
     sechs Jahren nicht gut zu sprechen. Gottlob hatten Opritschniki die Malaja Bronnaja
     gekauft, sonst wäre es dort auch so zugegangen wie in der Ostoshenka und der
     Nikitskaja. Wie die staatsfeindliche Nikitskaja abgefackelt worden war, das wusste
     sie noch. Über ganz Moskau hatte der Rauch gestanden …
    Marfuscha trat aus dem Hauseingang. Draußen lag Schnee und
     auf ihm das gleißende Licht der lieben Sonne. Die Kinder waren schon im schönsten
     Spiel: Serjoscha Burakow, Sweta Rogosina, Witka, das »Rüsselchen«, Tomilo, der Junge
     aus Nummer dreizehn, und dazu irgendwelche räudigen Lumpenkinder vom Sadowoje. Sie
     spielten Opritschnik und Edelmann, wie die ganze Weihnachtswoche schon: Die
     Edelleute haben sich aus Schnee ein Landgut gebaut und darin verschanzt, die
     Opritschniki umzingeln sie und rufen: »Schuld und Sühne!« Die Edelleutekaufen sich mit Eiszapfen frei, solange sie welche haben.
     Irgendwann sind sie alle, und das Gut wird von den Opritschniki gestürmt. Marfuscha
     kam eben dazu, wie die Schneebälle flogen und die Opritschniki pfiffen und johlten:
     »Dran und drauf! Dran und drauf!«
    Marfuscha ließ die Schlacht links liegen. Ein Schneeball
     traf sie in den Rücken.
    »He, Marfa, mach doch mit beim Hauen und Stechen!«
    Marfuscha blieb stehen. Swetka und Tomilo kamen gerannt,
     beide mit erhitzten Gesichtern.
    »Wo willst du hin?«
    »Brot holen, zum Frühstück.«
    Der schlitzäugige Tomilo zog den Rotz hoch und sagte:
     »Hast du schon gehört, auf dem Wspolnoi haben die Jungs unanständige Wörter in den
     Mund genommen. Welche mit F und mit V!«
    »Ach du Schreck!« Marfuscha schüttelte den Kopf. »Und wer
     hat es gemeldet?«
    »Saschka von den Habichten. Er hat Serjoscha angerufen und
     Serjoscha seinen Vater. Der hat es gleich beim Revier angezeigt.«
    »Gut gemacht.«
    »Spiel doch mit. Nur eine Runde! Du darfst auch die
     Fürstin Bobrinskaja sein!«
    »Geht nicht. Meine Eltern warten.«
    Marfuscha lief los. Ließ den Hof hinter sich, lenkte ihre
     Schritte zu Choprows Kaufmannsladen. Der war hübsch geschmückt: zwei geputzte
     Tannenbäume vor dem Eingang, die Schaufenster voll lebender Schneeflöckchen, ein
     einziges Schillern. Und in einer Ecke der Auslage: Schneewittchen und Großväterchen
     Frost in einemSchlitten aus Eis! Marfuscha betrat den Laden, das
     kupferne Glöckchen schellte. Drinnen standen die Leute Schlange – nicht gar zu
     viele, dreißig vielleicht. Hinter einem alten Mann in chinesischer Wattejacke
     stellte Marfuscha sich an. Ihre Augen hingen an der Auslage. Da lag hinter Glas
     beisammen, womit zu handeln anstand: Fleisch mit Knochen und ohne, Enten und Hühner,
     Kochwurst und Räucherwurst, Frischmilch und Sauermilch, Butter und Margarine,
     Bonbons der Sorte Teddy Tolpatsch und
     Bonbons der Sorte Teddy am Nordpol. Außerdem Wodka und Korn, eine Sorte Zigaretten (Rodina) und eine Sorte Papirossy (Rossija), Apfelmarmelade und Pflaumenmarmelade, Pfefferkuchen mit
     Minzgeschmack und ohne, Zwieback mit Rosinen und ohne, klarer Zucker und
     Würfelzucker, Weizengrütze und Buchweizengrütze, Schwarzbrot und Weißbrot. Obwohl
     Marfuscha nur Brot und die Papirossy für Großvater kaufen wollte, würde sie sich
     gedulden müssen, bis sie an der Reihe war. Auf einmal aber hörte sie vom Kopf der
     Schlange her ein bekanntes Stimmchen:
    »Ein halbes Pfund Würfelzucker, einen Laib Schwarzbrot,
     ein Viertel Roggenbrot und für einen Griwennik Apfelmarmelade.«
    Sina Schmerlina aus Aufgang drei. Im Nu stand Marfuscha
     neben ihr.
    »Sina, für mich noch ein Brot und Papirossy.«
    Zögernd nahm die schwarzäugige, schwarzhaarige Sina den
     Rubel von ihr entgegen. Und hinter ihr in der Schlange kam sogleich Unmut auf:
    »He, du Hudelhühnchen, kannst du nicht anstehen, wie es
     sich gehört?«
    »Vordrängeln, so weit kommt’s noch! Lasst sie ja nicht
     dazwischen!«
    »Wir wollen auch bloß Brot kaufen!«
    »Pack dich, durchtriebenes Stück!«
    Aber heute stand Choprow persönlich hinterm Ladentisch,
     und der war kinderlieb.
    »Hört auf zu keifen, lasst das Mädel in Ruh! Als hättet ihr es
     sonst wie eilig!

Weitere Kostenlose Bücher