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Der Zuckerkreml

Der Zuckerkreml

Titel: Der Zuckerkreml Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
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Malaja Bronnaja
     absperrte: Amonja lässt sich aufheben! Das Gebot war einfach und klar. An welchem
     Punkt der Stadt auch immer Amonja sich anschickte, ein Übel vorherzusagen, dort
     hatte sogleich alles Übrige stehen und liegen zu bleiben.
    Flugs wurden die Seile um Amonjas Hüften geknotet, sein
     treuer Hund ging auf die Hinterpfoten, die Menge wich zurück. Die Seile spannten
     sich, und Amonja wurde vom Erdboden gerissen. Stieg auf.
    Die Menge stand reglos. Alles glotzte. Amonja, der
     Gerechte, schwebte über Moskau. Hoch und immer höher.Vorbei am
     zweiten Stock, dem dritten, vierten … fünften! Da ertönte über der Menge der Ruf.
    »Ich sehe das kleine Übel!«
    Man hörte auf zu ziehen. Amonja Kiewogorodski hing
     zwischen Himmel und Erde. Unten stand die Menge und tat keinen Mucks. Marfuscha
     stand der Mund offen. Unverwandt starrte sie auf den hängenden Amonja.
    »Strelitzenblut wird fließen!«, verkündete Amonja von hoch
     droben. »In Samoskworetschje! Am Montag machen die Opritschniki zwei Oberste platt.
     Den Geringeren wird kein Haar gekrümmt.«
    Ein kleines Übel, fürwahr. Erleichtertes Aufatmen in der
     Menge. Strelitzen waren anscheinend keine darunter. Nur eine Frau im Persianermantel
     schlug ein Kreuz und strebte eilends davon.
    »Lasst mich runter!«, kreischt Amonja und rüttelt an den
     Leinen.
    Er wird zu Boden gelassen, von den Fesseln befreit.
    »Schmerzensgeld!«, brüllt er, kaum dass er unten ist.
    Viele Hände mit Gaben strecken sich ihm aus der Menge
     entgegen. Geld ebenso wie Lebensmittel. Die Gesellen und der elektrische Hund helfen
     beim Einsammeln.
    »Ich leide! O-o-oh, ich leide!«, schreit Amonja klagend.
    Man bekreuzigt und verneigt sich vor ihm. Auch Marfuscha
     schlägt das Kreuz und macht einen Diener vor dem Gerechten. Kadés blaue Augen
     bleiben an der Tüte mit dem Brot und den Papirossy hängen. Einer von Amonjas
     breitschultrigen Gesellen kommt heran mit seinem Sack, hält ihn wortlos vor Sina und
     Marfuscha auf. Gehorsam legen die Mädchen hinein, was sie in den Händen haben.
    »Ich leide! O-o-oh, wie ich leide!«, jault Amonja zum
     Gotterbarmen, sodass etliche Umstehende in Tränen ausbrechen.
    Der Gerechte zog davon, die Malaja Bronnaja hinunter. Die Menge
     wälzte sich hinterdrein. Sina und Marfuscha blieben zurück, blickten ihm nach wie
     gebannt.
    Dann ein Pfiff des Verkehrspolizisten, der den Autos, die
     sich angestaut hatten, freie Fahrt gab. Die Mädchen besannen sich: Es blieb ihnen
     wohl nichts übrig, als den Laden noch einmal aufzusuchen. Marfuscha hatte achtzig
     Kopeken von ihrem Rubel übrig, Sina ganze drei.
    »Ich muss es meinen Eltern sagen«, überlegte Sina. »Borgst
     du mir dein Hallofon?«
    Sina ihres war wie immer gesperrt.
    »Von mir aus.« Marfuscha nahm sich die Fernspreche vom
     Ohr, reichte sie Sina.
    Sina hängte sich das rotbraune Gerät ans Ohrläppchen.
    »Alkonost, zwei-zwei-neun, vier-sechs-fünf-null-acht«,
     sagte sie an.
    Bei Sina sprachen sie über Alkonost fern, was der billigste Dienst war,
     während Marfuschas Familie Sirin benutzte.
     Und das nicht etwa, weil die Sawarsins so viel wohlhabender gewesen wären als die
     Schmerlins. Vor einem halben Jahr hatte Marfuschas Vater dem Tischvorsteher der
     Fernmeldekanzlei für sein Gutshaus einen Ikonenschrein mit dem Erlöser und den
     Aposteln geschnitzt. Und der Schrein hatte dem Tischvorsteher so gut gefallen, dass
     er der Familie Sawarsin neun Freimonate bei Sirin schaltete.
    »Mami, ich hab die ganzen Fressalien dem gerechten Amonja
     in den Sack gesteckt«, sagte Sina.
    »Schön blöd«, kam die Antwort. »Ohne Wodka lässt der Vater
     dich nicht über die Schwelle.«
    »Ich hab nur noch drei Kopeken.«
    »Dann sieh zu, wie du damit klarkommst.«
    Seufzend gab Sina die Fernspreche zurück.
    »Nix zu machen. Da muss ich auf die Puschkinskaja›Scheiden tut weh‹ singen gehen. Vielleicht kommt was bei rüber.
     Und wenn’s für’n Viertelliter ist.«
    »Gott befohlen!«, nickte Marfuscha und trabte zurück zum
     Laden.
    Es war nicht das erste Mal, dass Sina betteln gehen
     musste. Geld borgen durfte Marfuscha ihr aber nicht.
    Inzwischen war die Schlange im Laden noch gewachsen – am
     Ende der Weihnachtswoche gingen bei allen die Lebensmittel zur Neige. Und wie zum
     Hohn – kein bekanntes Gesicht in der Schlange. Wohl oder übel musste Marfuscha sich
     die Beine in den Bauch stehen, bis sie wieder vor dem breitschultrigen Choprow
    

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