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Der Zuckerkreml

Der Zuckerkreml

Titel: Der Zuckerkreml Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
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meinetwegen neunzigteilen? Und den Hunden vorwerfen,
     dass die sich gütlich an ihm tun? Alles, was recht ist. Alles, was echt ist. Alles,
     was groß ist. Alles, was los ist.«
    Komjaga schwieg.
    »Da!« Kubassow deutete auf die Kanonen an den Fenstern.
     »Meine drei Grazien. Ich liebe sie.«
    »Kirill«, sprach Komjaga betont ruhig, »ich weiß, dass der
     Gossudar heute Nacht bei dir angerufen hat.«
    »Stimmt! Das hat er.« Der Bojare nickte lebhaft und
     griente. »Er wollte mir sein Zarenreich aufschwatzen.«
    »Kirill, ganz im Ernst …«
    »Ihm war es
     ernst! Er würde demnächst mit der Monomach-Mütze hier aufkreuzen, hat er gesagt. Zur
     Krönung. Mitsamt dem Patriarchen. Und weißt du was: Ich hab eingewilligt. Obwohl,
     Komjaga, wenn ich ganz ehrlich sein soll: Diese Scheißmütze ist eine Last. Und was
     für eine! Aber ich habe trotzdem zugesagt! Was hätte ich anderes tun sollen? Die
     kommen also alle demnächst zum Essen. Bin schon bei den Vorbereitungen. Schau her,
     Komjaga …«
    Kubassow ging zum mittleren Fenster, nahm im Sessel Platz,
     entsicherte die Kanone und feuerte eine kurze Salve nach unten auf den Rasenplatz.
     Man sah drei Detonationspilze lautlos wachsen und wieder in sich zusammenfallen.
    »Lasst euch nur blicken, ihr Rattenkönige!«, höhnte
     Kubassow.
    »Hör zu, Kirill …«
    »Du hast gefälligst mir zuzuhören!«, brüllte Kubassow und versetzte ihm einen schnellen
     Nierenschlag. »Für dich ist nämlich kein Platz mehr da. Was kommst du hier
     angeschissen? Meinst du, ich sage dir, bei wem du dich einschleimen sollst?«
    »Lass mich doch mal …«
    »Oder brauchst du ein bisschen Liebe? Liebe heilt alle
     Wunden …«
    »Kirill …«
    »Liebe, Komjaga! Liebe! Das ist es doch, oder?«
    »Kirill …«
    »Liebe kann die Welt retten, Komjaga. Nur die Liebe!«
    »Jetzt hör mich an, Kirill!« Komjaga wurde lauter. »Schon
     morgen wird dieses Land ein anderes sein. Morgen ist es zu spät! Der Gossudar bindet
     gerade einen neuen Besen. Mit reichlich eisernen Ruten darin. Du kannst dich hier
     nicht ewig verschanzen. Zeit ist kostbar! Was hat der Gossudar dir gesagt?«
    Kubassow legte den Finger vor den großen schmallippigen
     Mund.
    »Psst! … Pass mal auf.«
    Er ging auf Zehenspitzen zum Tisch, zog die Lade auf,
     holte eine große schwarze Mauserpistole hervor, spannte den Abzug, zielte
     blitzschnell auf Komjagas Stirn und schoss. Das Hirn spritzte ihm aus dem Hinterkopf
     auf den Teppich. Komjaga taumelte zurück und schlug der Länge nach hin. Die
     Leibwächter und die Schützen an den Kanonen zuckten mit keiner Wimper.
    Kubassow betrachtete den auf dem Teppich liegenden
     Opritschnik. Klaubte die Patronenhülse vom Spiegel, drehte sie zwischen den dicken
     Fingern, roch daran. Stellte sie auf den Spiegel zurück. Seine Augen wanderten durch
     den Raumund blieben an dem Zuckerkreml hängen, der auf einer
     halbhohen Marmorsäule in der Ecke stand. Er hob die Waffe, schoss auf den Kreml.
     Zuckersplitter flogen.
    »Da siehst du«, sprach Kubassow seufzend und legte die
     Mauser auf den Tisch. »Nichts wird vergessen. Nicht im Schlaf noch beim Trinken und
     Essen. Amen.«
    Gemächlich schlenderte er zum Fenster. Stand davor,
     schaute hinaus mit gerunzelter Stirn. Ein Krähenschwarm kreiste über dem Rasen, ließ
     sich auf die frischen, schwarzen Krater nieder.
    »Und verrücke nicht die vorigen Grenzen«, sprach Kubassow
     gesetzt und brach in ein leises, hämisches Lachen aus.

Das Buch

    Ein furioses Sittengemälde von Russlands Starautor: ein
     literarischer Extrakt aus Wodka, Schnee und Blut – mit sechs Löffeln Zucker

    Russland im Jahr 2028: ein neues Mittelalter, geprägt von
     Informationstechnologie und Massenarmut. Körperliche Züchtigung ist an der
     Tagesordnung. In einem gewaltigen Stimmenchor führt Sorokin den Leser durch die
     dunklen Seitengassen des Lebens in einem utopischen Russland, das er dem heutigen
     wie einen Zerrspiegel vorhält.

    In fünfzehn virtuosen Kurzerzählungen lernen wir Hofnarren,
     Henker, Zwangsarbeiter, Bettler und Dissidenten kennen – und die anrührende
     Marfuscha, die wie Tausende anderer Kinder am Weihnachtstag auf dem Roten Platz ein
     Kremlmodell mit Mauern, Türmen und Toren ganz aus Zucker geschenkt bekommt. Weil
     alle Brennstoffe ins Ausland verkauft werden, heizen auch wohlsituierte Moskauer mit
     Holzscheiten, und die Aufzüge der Wohnhäuser stehen am Wochenende still. Der Alltag
     ist geprägt von Angst

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