Der Zuckerkreml
WOHL! WIRST DU WOHL! WER SCHLEICHT SICH DA
EIN! ALLES ZURÜCK VON DER SCHLANGE!!
– Die haben unanständig geflucht!
– Kommen Sie. Gehen wir weg von hier.
– Hier ist kein Durchkommen.
– Erlauben Sie?
– Ich danke Ihnen … Gott, was für eine Gemeinheit!
– FERNBLEIBEN VON DER SCHLANGE, WAR GESAGT! ERSTATTEN SIE
JETZT IHRE MELDUNG, MÜTTERCHEN.
– Aber gerne, mein Sohn.
– Kommen Sie hier lang …
– So eine Gemeinheit.
– Regen Sie sich nicht auf.
– Nein, wirklich, noch vorgestern haben sie’s in der Blase
verlautbart: Kremlstückwerk, Türme und Mauern zu verschiedenen Preisen, freie
Auswahl! Und hier auf einmal: nichts als Mauern, friss oder stirb! Und dafür auch
noch zwei Rubel!
– Die Türme haben sie an ihre Leute verteilt, klarer Fall.
– Aber das ist doch Beschiss! Wollen wir das nicht nach
oben melden?
– Pure Zeitverschwendung.
– Ich hab drei Kinder! Soll ich die Packungen in Stücke
reißen?
– Klar. Aufmachen und teilen.
– Aber die sind so hübsch verpackt! Und die Brüche glatt
und ebenmäßig! Zwei Stücke! Die soll ich zerhacken?
– Na ja, warum nicht … Oder nein, warten Sie. Meine liebe
Vera, nehmen Sie diese Packung von mir, aus Anlass unserer Bekanntschaft …
– Was fällt Ihnen ein! Das kommt nicht in Frage.
– Bloß keine Umstände. Ich hab eine Tochter. Für die
reicht ein Paket.
– Nein, das geht doch nicht …
– Hier bitte. Es ist Ihres.
– Dann nehmen Sie wenigstens die zwei Rubel von mir.
– Auf gar keinen Fall!
– Aber Trofim, das kann ich nicht einfach so annehmen!
– Schon vergessen.
– Das ganz gewiss nicht. Ich stehe in Ihrer Schuld.
– Na gut. Wenn das so ist, dann versprechen Sie mir, dass
ich Sie zu einem Tässchen Tee einladen darf.
– Jetzt leider nicht, ich muss schnell auf Arbeit.
– Heute Abend?
– Heute Abend … das ginge. Nach acht.
– Prima. Wo wohnen Sie denn?
– Da drüben, beim Fischmarkt.
– Ah, ganz in der Nähe. Eine Innenstadtpermerin!
– Sozusagen.
– Gut. Soll ich Sie abholen?
– Gott behüte! Mein Mann ist sehr eifersüchtig.
– Dann schlage ich ein Treffen im Kulitsch vor.
– Ein angenehmes Lokal.
– Um welche Zeit wäre es Ihnen genehm?
– Na, sagen wir … Viertel nach acht.
– Wunderbar! Vergessen Sie’s auch nicht?
– Wie könnte ich! Als Ihre Schuldnerin.
– Wohltun bringt Zinsen!
– So kann man es auch sagen … Oh, schon zwei. Also, ich muss! Bis
heute Abend, Trofim!
– Auf Wiedersehen, Vera!
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DER BRIEF
Sei gegrüßt, meine beste, herzallerliebste, unendlich
teure Schwester Sonja!
Es schreibt Dir Deine leibliche Schwester Praskowja.
Sechs Jahre ist es her, meine Liebe, dass Du bei uns
ausgezogen bist, dem heimischen Nest entflattert, sechs Jahre schon müssen Deine
Mama, Brüderchen Wanjuscha und ich armes Wesen ohne Dein liebreizendes Lächeln
leben, ohne den Klang Deiner Stimme, wie ein Glöckchen aus Waldai so hell, ohne Dein
gutes, mitfühlendes, wahrheitsliebendes, immerfrohes Herz und Dein zartes, reines,
gottesfürchtiges Seelchen, ohne Deine schwesterlich-töchterliche Fürsorge, ohne Dein
Gebet. Seit sechs Jahren beten wir ohne Dich des Morgens und des Abends, gehen ohne
Dich zur Kirche, empfangen ohne Dich das heilige Abendmahl, legen ohne Dich vor
Vater Juri die Beichte ab, feiern ohne Dich, liebe Sonni, die hohen Feste – doch
schließen wir Dich selbstverständlich in unsere Familiengebete ein, beten heiß und
inbrünstig für unser Sonnivögelein, unser blauflügeliges Täubchen, welches das
Schicksal in eine ferne Gegend verschlagen, und noch dazu bete ich für Dich jeden
Abend vor dem Einschlafen, wenn ich im Bett liege und an mein geliebtes Sonnilein
denke. Drei Gebete spreche ich: ein Ave Maria – Gottesgebärerin und Jungfrau, freue
dich –, sodann: Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt, und zuletzt den Reisesegen.
Weil nämlichwir, Papa, Mama und ich, darauf hoffen, dass es Zso
und Dir eines Tages im fernen Chabarowsk zu öd wird, und Ihr kehrt zurück ins
heimische Iswarino.
Mein liebes Schwesterlein! Ich hätte nicht geglaubt und
nicht geahnt, dass ein Leben ohne Dich so verzwickt und schwierig sein würde, wie es
jetzt ist, nämlich ein ganz anderes, selbstständig und beflissen. Oder na ja,
vielleicht ist es mit der Selbstständigkeit gar nicht weit her – es ist, als hätte
man mich, das kleine Mädchen Praskowja, gepackt und in einen tiefen
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