Der Zuckerkreml
See geschmissen,
der sich Leben nennt, und schwimmen hat das Mädchen Praskowja doch immer nur mit
seinem lieben Schwesterchen gekonnt, Hand in Hand, was der Schwester genauso
geholfen hat wie ihr selber. Zwar hatte das Mädchen Praskowja schwimmen gelernt,
aber noch nie wirklich ausprobiert, und nun auf einmal schwamm sie im Wasser, trieb,
trieb, trieb dahin wie ein Birkenspan, einstweilen ohne unterzugehen, aber die Angst
ist geblieben, Sonnilein, und die Angst ist wie ein grauer Wolf, der immerzu aus dem
dunklen Wald nach Dir glotzt, glotzt und glotzt, guckt einfach nicht weg, also
paddelt unsere Praskowja vom Lande auf dem Ozeanmeer namens Leben herum, und das
schon das siebte Jahr, und trotzdem fürchtet sie sich immer noch, ganz alleine auf
dem großen Ozean, so sieht’s aus, mein liebes Schwesterlein!
Wir zwei, Sonnilein, sind ja auch immer zusammen gewesen –
schon als wir unsere Zeit nebeneinander im Schoße des lieben Mütterleins lagen und
anschließend, nach wohlbehaltenem Erscheinen auf Gottes Erden, Seit an Seit in der
Wiege, und als uns Vater Sofroni, Gott hab ihn selig, ins Becken getaucht hat und
zum Leben in Christus getauft und wir dann aus seinen Händen auf silbernem
Löffelchen die erste Kommunion empfingen, und wie wir dann heranwuchsen in Vaters
und Mutters Obhut,wie wir im Garten unseres Hauses herumtobten,
auf dem grünen, grünen Gras der Wiese unter blühenden Kirsch- und Apfelbäumen und
bei den geliebten Stachelbeeren, aus denen Mama so köstliche Marmelade kocht, und
wie wir dann in die Schule kamen, natürlich Banknachbarn waren, rechnen lernten und
sich mit der schlauen Maschine zurechtfinden, wie wir um die Wette liefen, Versteck
spielten, Blumen pflückten, Blätter sammelten und Schmetterlinge fingen, Vöglein in
Kissen stickten, wie wir Vater und Mutter mit unseren guten Schulnoten beglückten …
Auch als wir die Schule hinter uns hatten und ins heiratsfähige Alter kamen, waren
wir noch zusammen, Sonjuschka: nähten gemeinsam die Aussteuer, gingen tanzen,
warteten miteinander sehnsüchtig auf unsere Bräutigame. Und dann traf Dich als
Erste, mein weißer Schwan, der Pfeil des wackeren Jünglings Zso Ge ins Herz, und er
nahm Dich bei den weißen Händchen und trug Dich von dannen hinter die sieben Berge,
ins ferne Chabarowsk. Zurück blieb in der Moskauer Provinz Dein Schwesterlein
Praskowja, mutterseelenallein, jawohl!
Du bist von uns beiden die Hübschere, obwohl wir Zwillinge
sind. Dich hat der Liebespfeil als Erste ins Herz getroffen. Und das ist ein Glück,
Sonnilein! Ich freu mich so sehr für Dich, dass mir das Herz aufgeht und eine rote
Blüte treibt aus schwesterlicher Liebe.
Sonja, sei nicht böse, dass ich mich hier so in Gefühlen
ergehe. Das tue ich absichtlich, auf die literarische Art. Da ich doch auf Papier
schreibe! Und meine schlaue Maschine hilft mir dabei. Du weißt doch, ich mag es, auf
die fremde Art zu schreiben. Es gerät hübscher und geht mehr zu Herzen. Selber
brächte ich ja nur Guten Tag und Auf Wiedersäähn zusammen. Und ich tue das alles
doch nur, Sonni, damit Du dort möglichst oft einen Schluckauf kriegst meinetwegen –
lebst ja dort sonst wie die Made imSpeck, schnäbelst und
kuschelst auf chinesischem Laken mit deinem schönen Zso, futterst süßen
Schweinebraten mit Ananas, trinkst unseren geliebten Pflaumenwein, und alles Übrige
ist vergessen. Praskowja kann sich zu Hause die Augen ausheulen in ihr altes Kissen
mit den Zwitschermeisen, wie ein Schlosshund heult sie.
Ein Scherz, natürlich.
Ich heule nicht.
Hier bei uns steht alles zum Besten, Schwesterherz, der
Laden läuft: Der Stiefvater treibt Handel, Mutter hält das Haus in Ordnung, Wanka
geht in seine Kirchgemeindeschule, Tresor kläfft, und ich liege auf der faulen Haut.
Wenn ich nicht gerade bei den Ponomarjows bin, den Abramows, bei Raissa Milman oder
bei Oserow, der nicht gescheit ist. Nichts Krasses ist mir widerfahren die letzte
Zeit, nichts Erhebendes passiert. Die Geschwister Ponomarjow, Vera und Nadja, machen
den chinesischen Soldaten weiterhin schöne Augen, Maria Abramowa hofft an der
Frauenuniversität angenommen zu werden, Raissa kränkelt oft, etwas stimmt mit ihrer
Bauchspeicheldrüse nicht, aber Genaues weiß kein Doktor zu sagen. Oserow ist völlig
meschugge geworden: rennt überallhin mit seiner schlauen Maschine, verteilt
»Geschenke«, äfft herum, dass
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