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Der Zuckerkreml

Der Zuckerkreml

Titel: Der Zuckerkreml Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
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See geschmissen,
     der sich Leben nennt, und schwimmen hat das Mädchen Praskowja doch immer nur mit
     seinem lieben Schwesterchen gekonnt, Hand in Hand, was der Schwester genauso
     geholfen hat wie ihr selber. Zwar hatte das Mädchen Praskowja schwimmen gelernt,
     aber noch nie wirklich ausprobiert, und nun auf einmal schwamm sie im Wasser, trieb,
     trieb, trieb dahin wie ein Birkenspan, einstweilen ohne unterzugehen, aber die Angst
     ist geblieben, Sonnilein, und die Angst ist wie ein grauer Wolf, der immerzu aus dem
     dunklen Wald nach Dir glotzt, glotzt und glotzt, guckt einfach nicht weg, also
     paddelt unsere Praskowja vom Lande auf dem Ozeanmeer namens Leben herum, und das
     schon das siebte Jahr, und trotzdem fürchtet sie sich immer noch, ganz alleine auf
     dem großen Ozean, so sieht’s aus, mein liebes Schwesterlein!
    Wir zwei, Sonnilein, sind ja auch immer zusammen gewesen –
     schon als wir unsere Zeit nebeneinander im Schoße des lieben Mütterleins lagen und
     anschließend, nach wohlbehaltenem Erscheinen auf Gottes Erden, Seit an Seit in der
     Wiege, und als uns Vater Sofroni, Gott hab ihn selig, ins Becken getaucht hat und
     zum Leben in Christus getauft und wir dann aus seinen Händen auf silbernem
     Löffelchen die erste Kommunion empfingen, und wie wir dann heranwuchsen in Vaters
     und Mutters Obhut,wie wir im Garten unseres Hauses herumtobten,
     auf dem grünen, grünen Gras der Wiese unter blühenden Kirsch- und Apfelbäumen und
     bei den geliebten Stachelbeeren, aus denen Mama so köstliche Marmelade kocht, und
     wie wir dann in die Schule kamen, natürlich Banknachbarn waren, rechnen lernten und
     sich mit der schlauen Maschine zurechtfinden, wie wir um die Wette liefen, Versteck
     spielten, Blumen pflückten, Blätter sammelten und Schmetterlinge fingen, Vöglein in
     Kissen stickten, wie wir Vater und Mutter mit unseren guten Schulnoten beglückten …
     Auch als wir die Schule hinter uns hatten und ins heiratsfähige Alter kamen, waren
     wir noch zusammen, Sonjuschka: nähten gemeinsam die Aussteuer, gingen tanzen,
     warteten miteinander sehnsüchtig auf unsere Bräutigame. Und dann traf Dich als
     Erste, mein weißer Schwan, der Pfeil des wackeren Jünglings Zso Ge ins Herz, und er
     nahm Dich bei den weißen Händchen und trug Dich von dannen hinter die sieben Berge,
     ins ferne Chabarowsk. Zurück blieb in der Moskauer Provinz Dein Schwesterlein
     Praskowja, mutterseelenallein, jawohl!
    Du bist von uns beiden die Hübschere, obwohl wir Zwillinge
     sind. Dich hat der Liebespfeil als Erste ins Herz getroffen. Und das ist ein Glück,
     Sonnilein! Ich freu mich so sehr für Dich, dass mir das Herz aufgeht und eine rote
     Blüte treibt aus schwesterlicher Liebe.
    Sonja, sei nicht böse, dass ich mich hier so in Gefühlen
     ergehe. Das tue ich absichtlich, auf die literarische Art. Da ich doch auf Papier
     schreibe! Und meine schlaue Maschine hilft mir dabei. Du weißt doch, ich mag es, auf
     die fremde Art zu schreiben. Es gerät hübscher und geht mehr zu Herzen. Selber
     brächte ich ja nur Guten Tag und Auf Wiedersäähn zusammen. Und ich tue das alles
     doch nur, Sonni, damit Du dort möglichst oft einen Schluckauf kriegst meinetwegen –
     lebst ja dort sonst wie die Made imSpeck, schnäbelst und
     kuschelst auf chinesischem Laken mit deinem schönen Zso, futterst süßen
     Schweinebraten mit Ananas, trinkst unseren geliebten Pflaumenwein, und alles Übrige
     ist vergessen. Praskowja kann sich zu Hause die Augen ausheulen in ihr altes Kissen
     mit den Zwitschermeisen, wie ein Schlosshund heult sie.
    Ein Scherz, natürlich.
    Ich heule nicht.
    Hier bei uns steht alles zum Besten, Schwesterherz, der
     Laden läuft: Der Stiefvater treibt Handel, Mutter hält das Haus in Ordnung, Wanka
     geht in seine Kirchgemeindeschule, Tresor kläfft, und ich liege auf der faulen Haut.
     Wenn ich nicht gerade bei den Ponomarjows bin, den Abramows, bei Raissa Milman oder
     bei Oserow, der nicht gescheit ist. Nichts Krasses ist mir widerfahren die letzte
     Zeit, nichts Erhebendes passiert. Die Geschwister Ponomarjow, Vera und Nadja, machen
     den chinesischen Soldaten weiterhin schöne Augen, Maria Abramowa hofft an der
     Frauenuniversität angenommen zu werden, Raissa kränkelt oft, etwas stimmt mit ihrer
     Bauchspeicheldrüse nicht, aber Genaues weiß kein Doktor zu sagen. Oserow ist völlig
     meschugge geworden: rennt überallhin mit seiner schlauen Maschine, verteilt
     »Geschenke«, äfft herum, dass

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