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Der Zuckerkreml

Der Zuckerkreml

Titel: Der Zuckerkreml Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
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mehr verlangen, da Du nun mal aus dem Haus bist, mein Liebes, der
     Liebe gefolgt und den eigenen Plänen und trefflichen Umständen, alles hat sich zum
     Besten gefügt. Lebt in Glück und Eintracht, ich freue mich für Euch und bete heiß
     und inniglich, dass Ihr vereint sein möget in Ewigkeit und keine Macht Euch scheidet
     und dass die Kinderlein endlich kommen, stets habe ich im Guten Eurer gedacht, Grüße
     an Euch geschickt in Gedanken, Euch geliebt aus der Ferne. Wie aber konntest Du Dein
     Schwesterlein so ganz und gar vergessen? Das ist schlecht, Sonetschka. Nicht die
     christliche Art.
    Sei’s drum, Gott mag Dein Richter sein. Ich denke, wenn
     der Liebesrausch vergangen sein wird, fürs Erste genug geherzt und liebkost ist,
     dann wirst du dem Schwesterlein wieder etwas zu schreiben haben, geradeheraus, von
     Herz zu Herz. In sechs Jahren könnte es doch sein, dass das Gemüt ein klein bisschen
     abkühlt und sich beruhigt, oder nicht? Kühl ab, Schwesterlein, kühle schnell, auf
     dass ich Dir wieder in den Sinn komme! Vielleicht fällt Dir ja was Lustiges ein aus
     unserem früheren Leben, davon gab’s doch genügend, Kummer haben wir ja eigentlich
     nicht gekannt. Da fällt uns doch was ein, Sonnilein, oder etwa nicht? Weißt du noch,
     wie wir mal sozusagen Kicherwasser geschluckt hatten, und das ausgerechnet beim
     Baden in der Pachra, und dadurch beinahe ertrunken wären, zu Christi Verklärung?
     Hinterher hast Du abwechselnd geweint und gelacht und mit Gras nach mir geschmissen,
     und ich, ich musste dermaßen lachen, dass ich mir ins Höschen pinkelte! Und die
     Sache mit dem Hubschrauber: wie wir Saschka Mamulow verschaukelt haben, und er ist
     abends zu Boris Nikititsch gegangen und hat gepetzt, aber der hat ihn
     rausgeschmissen? Und weißt Du noch, der kleine Wowa: »An deinem Knie sitzt ein… Hatschi!« Und die Torte mit Salz? Und wie Marfa einmal wild
     geworden ist, weißt Du das noch? Sie hatte Schweißperlen an der Nase, so wütend war
     sie! Und bei der Geschichtslehrerin, diesem Ekel, mussten wir auf Erbsen knien!
     »Großfürst Kalita juckte der Zeh, worauf er ihn kühlte mit Kekoukele 14 !« Erinnerst Du Dich noch an unseren guten Pjotr Christoforowitsch in
     Religion? Er unterrichtet nach wie vor, hat sich nicht vom Fleck gerührt, immer noch
     unbeweibt und kinderlos, der alte Hagestolz. Und siehst Du unsere Puppen noch vor
     Dir? Das Katerinchen lebt noch, kann sprechen und Barynja tanzen wie in alten
     Zeiten. Malwinchen hat den Geist aufgegeben, irgendwas mit der Hirnmasse. Kann
     gerade noch die Augen aufklappen und lächeln. Früher, weißt Du noch, wie sie flötete
     nach dem Teetrinken: »Xie-xie, hao-he-e-e!« 15 Aber beide liegen sie inzwischen in Omas Schublade, musst Du wissen,
     Malwinchen und auch Katerinchen, schlafen im Mottenpulversäckchen und träumen bunte
     Träume von Dir und mir.
    Und – ha! – auf einmal, während ich diesen Brief an Dich
     schreibe, fällt mir wieder ein, wie wir miteinander den neuen Kreml begucken fuhren!
     Du fragst Dich, wie ich darauf komme? Das kann ich dir sagen! Während ich Tasta
     Klapperowna traktiere, lutsche ich an einer Zuckerkremlmauer, stell dir vor! Zu
     Weihnachten war unser Klein Wanja mit Sergej Woronzow und Nikita Batschej in Moskau
     auf dem Roten Platz. Und jeder brachte von da einen Zuckerkreml mit! Die Türme
     möchte Mama bis Ostern aufheben, um den Osterkuchen damit zu krönen, aber die Mauern
     hat sie in Stücke gebrochen und in die Zuckerdose gesteckt. Und jetztsüßen wir unseren Tee nicht mit Kandis, sondern mit Kremlmauern!
     Und darum ist mir das eben wieder eingefallen. Irgendwie hatte ich es ganz
     vergessen, nun ist die Erinnerung wieder da, steht mir deutlich vor Augen wie ein
     Film im Kino. Du hast mich drauf gebracht, wer sonst! Weißt Du es denn selber auch
     noch? Ja? Wir waren beide gerade zwölf geworden, da brachte unser seliger Papa eines
     Morgens die Neuigkeit mit: Der Kreml sei letzte Nacht weiß getüncht worden, auf
     Befehl des Gossudaren! Es war ein Samstag, das weiß ich noch. Und tags darauf, am
     Sonntag, sind wir gleich nach Moskau gefahren. Weißt Du noch, wie Du in der Metro
     das zermatschte Eis am Boden liegen sahest und sagtest: »Das haben die Moskauer
     weggeschmissen!« Wieso die Moskauer?, hab ich mich damals gefragt. Und dann waren
     wir auf einmal eingekeilt in den Massen und kamen nur noch mit Trippelschrittchen
     vorwärts und kriegten es sogar ein bisschen mit

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