Der Zuckerkreml
mehr verlangen, da Du nun mal aus dem Haus bist, mein Liebes, der
Liebe gefolgt und den eigenen Plänen und trefflichen Umständen, alles hat sich zum
Besten gefügt. Lebt in Glück und Eintracht, ich freue mich für Euch und bete heiß
und inniglich, dass Ihr vereint sein möget in Ewigkeit und keine Macht Euch scheidet
und dass die Kinderlein endlich kommen, stets habe ich im Guten Eurer gedacht, Grüße
an Euch geschickt in Gedanken, Euch geliebt aus der Ferne. Wie aber konntest Du Dein
Schwesterlein so ganz und gar vergessen? Das ist schlecht, Sonetschka. Nicht die
christliche Art.
Sei’s drum, Gott mag Dein Richter sein. Ich denke, wenn
der Liebesrausch vergangen sein wird, fürs Erste genug geherzt und liebkost ist,
dann wirst du dem Schwesterlein wieder etwas zu schreiben haben, geradeheraus, von
Herz zu Herz. In sechs Jahren könnte es doch sein, dass das Gemüt ein klein bisschen
abkühlt und sich beruhigt, oder nicht? Kühl ab, Schwesterlein, kühle schnell, auf
dass ich Dir wieder in den Sinn komme! Vielleicht fällt Dir ja was Lustiges ein aus
unserem früheren Leben, davon gab’s doch genügend, Kummer haben wir ja eigentlich
nicht gekannt. Da fällt uns doch was ein, Sonnilein, oder etwa nicht? Weißt du noch,
wie wir mal sozusagen Kicherwasser geschluckt hatten, und das ausgerechnet beim
Baden in der Pachra, und dadurch beinahe ertrunken wären, zu Christi Verklärung?
Hinterher hast Du abwechselnd geweint und gelacht und mit Gras nach mir geschmissen,
und ich, ich musste dermaßen lachen, dass ich mir ins Höschen pinkelte! Und die
Sache mit dem Hubschrauber: wie wir Saschka Mamulow verschaukelt haben, und er ist
abends zu Boris Nikititsch gegangen und hat gepetzt, aber der hat ihn
rausgeschmissen? Und weißt Du noch, der kleine Wowa: »An deinem Knie sitzt ein… Hatschi!« Und die Torte mit Salz? Und wie Marfa einmal wild
geworden ist, weißt Du das noch? Sie hatte Schweißperlen an der Nase, so wütend war
sie! Und bei der Geschichtslehrerin, diesem Ekel, mussten wir auf Erbsen knien!
»Großfürst Kalita juckte der Zeh, worauf er ihn kühlte mit Kekoukele 14 !« Erinnerst Du Dich noch an unseren guten Pjotr Christoforowitsch in
Religion? Er unterrichtet nach wie vor, hat sich nicht vom Fleck gerührt, immer noch
unbeweibt und kinderlos, der alte Hagestolz. Und siehst Du unsere Puppen noch vor
Dir? Das Katerinchen lebt noch, kann sprechen und Barynja tanzen wie in alten
Zeiten. Malwinchen hat den Geist aufgegeben, irgendwas mit der Hirnmasse. Kann
gerade noch die Augen aufklappen und lächeln. Früher, weißt Du noch, wie sie flötete
nach dem Teetrinken: »Xie-xie, hao-he-e-e!« 15 Aber beide liegen sie inzwischen in Omas Schublade, musst Du wissen,
Malwinchen und auch Katerinchen, schlafen im Mottenpulversäckchen und träumen bunte
Träume von Dir und mir.
Und – ha! – auf einmal, während ich diesen Brief an Dich
schreibe, fällt mir wieder ein, wie wir miteinander den neuen Kreml begucken fuhren!
Du fragst Dich, wie ich darauf komme? Das kann ich dir sagen! Während ich Tasta
Klapperowna traktiere, lutsche ich an einer Zuckerkremlmauer, stell dir vor! Zu
Weihnachten war unser Klein Wanja mit Sergej Woronzow und Nikita Batschej in Moskau
auf dem Roten Platz. Und jeder brachte von da einen Zuckerkreml mit! Die Türme
möchte Mama bis Ostern aufheben, um den Osterkuchen damit zu krönen, aber die Mauern
hat sie in Stücke gebrochen und in die Zuckerdose gesteckt. Und jetztsüßen wir unseren Tee nicht mit Kandis, sondern mit Kremlmauern!
Und darum ist mir das eben wieder eingefallen. Irgendwie hatte ich es ganz
vergessen, nun ist die Erinnerung wieder da, steht mir deutlich vor Augen wie ein
Film im Kino. Du hast mich drauf gebracht, wer sonst! Weißt Du es denn selber auch
noch? Ja? Wir waren beide gerade zwölf geworden, da brachte unser seliger Papa eines
Morgens die Neuigkeit mit: Der Kreml sei letzte Nacht weiß getüncht worden, auf
Befehl des Gossudaren! Es war ein Samstag, das weiß ich noch. Und tags darauf, am
Sonntag, sind wir gleich nach Moskau gefahren. Weißt Du noch, wie Du in der Metro
das zermatschte Eis am Boden liegen sahest und sagtest: »Das haben die Moskauer
weggeschmissen!« Wieso die Moskauer?, hab ich mich damals gefragt. Und dann waren
wir auf einmal eingekeilt in den Massen und kamen nur noch mit Trippelschrittchen
vorwärts und kriegten es sogar ein bisschen mit
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