Der zugeteilte Rentner (German Edition)
veränderte sich nicht. Sie starrte nur geradeaus. Vielleicht sah sie ihn, vielleicht auch nicht. Mit kleinen Schritten trippelte sie voran. Doch ihre Füße bewegten sich kaum. Die Hosen waren einfach zu lang, sie verdeckten die vordere Hälfte ihrer Schuhe. Langsam entfernte sie sich aus dem Park, hielt kurz an einem Grabstein an, um sich abzustützen, dann setzte sie ihre Reise fort – gefangen in diesem Albtraum, der sich Altersruhestand nannte.
Eigentlich eigenartig. Sein ganzes Leben arbeitete man, um sich irgendwann auf seinem Ersparten auszuruhen. Und dann: Nichts! Kein Geld, keine Wohnung, kein Leben. Alles war weg. Freunde und Bekannte starben und das Einzige das blieb: ein voll geschriebenes Notizbuch.
Umlageverfahren
Clara staunte als sie mit Finn zurück in die Wohnung kam: Ihre Schmutzwäsche lag gebügelt im Schrank, die Möbel rochen nach Mottenkugeln, in der Küche verbrannte eine Suppe im Topf und Zoe lag schlafend auf der Couch.
„Wo ist er?“
Doch Zoe reagierte nur mit einem Brummen. Sie rieb sich die Augen, schaute nach links, dann nach rechts, erblickte Clara und grinste.
„Da bist du ja!“
„Was ist passiert?“
Zoe blickte sich um, dann trank sie einen Schluck Cola und raffte sich auf.
„Ich hab’ geschlafen!“
„Wo ist Maximilian?“
„Eben war er noch da!“
„Du solltest doch auf ihn aufpassen?“, motzte Finn. „Guck mal! Was der alles in der Zeit verschlungen hat. Für so einen alten Mann ist der ziemlich verfressen!“
Zoe verzog das Gesicht, dann erhob sie sich, stampfte in Richtung Toilette, stolperte über ein Kabel, fing sich jedoch, bevor sie gegen ein Regal fallen konnte und schleppte sich schließlich ins Bad.
Wo steckte Maximilian? Finn bot in solchen Momenten keine Hilfe. Er hüpfte durch die Wohnung und machte ihr Vorwürfe, dass sie den alten Mann überhaupt aufgenommen hatte. Er hätte ein Serienkiller sein können. Noch schlimmer aber war, dass Finn ein wichtiges Seminar zum medizinischen Kostenmanagement verpasste.
„Du kannst einen Unbekannten doch nicht bei dir wohnen lassen. Er hätte alles ausräumen können.“
„Das will ich doch gar nicht“, sagte Clara und stieß ihn zur Seite, damit sie zum Kühlschrank konnte. „Ich werde das mit den Ämtern klären und dann ist er weg.“
„Das möchte ich doch hoffen! Ich hätte diesen Psychopathen nicht bei mir wohnen lassen. Ich nicht! Und was ist überhaupt, wenn ich jetzt einziehen möchte? Sollen wir etwa mit ihm eine WG gründen?“
„Ein Tag mehr oder weniger, was soll’s?“
„Gib es doch zu! Es ist dir sogar lieber, dass er bei dir wohnt. Dann können wir nicht zusammenziehen.“
Clara beobachtete Finn. Wie Rumpelstilzchen tanzte er um sie herum, griff sich in die Haare, machte dabei große ausholende Bewegungen, als würde er Shakespeare rezitieren, spielte mit dem obersten Knopf seines Hemdes und alle zehn Sekunden folgte ein langer Seufzer begleitet von einer schwungvollen, runden Bauchbewegung.
„Und was ist mit heute Abend?“, sagte Finn. „Wir sind zur Hochzeit von meinem Bruder eingeladen! Schon vergessen?“
Clara hatte es tatsächlich vergessen. Seit sechs Monaten existierte bereits die Einladung. Finns Bruder heiratete, Liebe auf den ersten Blick, hatten aber fünfzehn Jahre gebraucht, bis sie sich dazu entschließen konnten, passten aber gut zusammen: er ein selbstverliebter Pilot, sie eine selbstverliebte Stewardess. Finns Eltern waren so stolz auf die beiden.
„Und was mache ich mit dem alten Mann?“
„Er muss weg!“, nuschelte Finn immer wieder. „Einfach weg!“
„Ich find ihn lustig!“, bemerkte Zoe als sie aus dem Bad kam. „Der fährt zwar wie ein Geisteskranker, aber schießen kann er.“
Freiwillig Versicherte
Hunde waren nicht erlaubt. Sie übertrugen Keime, Krankheiten und machten nur Dreck. Es gab wohl kaum ein Krankenhaus in dem man sie duldete, deshalb fragte Maximilian erst gar nicht nach einer Erlaubnis. Der Dackel verschwand in der Innentasche seines Mantels. Hierfür hatte er sich eine große Innentasche einnähen lassen. Mit kleinen Hunden konnte man so was machen; und dieser liebte es sogar. Manchmal strampelte er mit seinen Pfoten und trat seinem Herrchen gegen den Bauch. So mancher aufmerksamer Krankenhausbesucher konnte dann sehen, dass unter Maximilians Mantel etwas zuckte. Doch die meisten hielten es für ein schlimmes Leiden, schließlich bewegte man sich im Krankenhaus. Sie sahen ihn dann voller Mitleid an und lächelten ihm zu. Aber keiner wollte
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