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Der zugeteilte Rentner (German Edition)

Der zugeteilte Rentner (German Edition)

Titel: Der zugeteilte Rentner (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Schulte
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auch eine Schnecke beobachten würden, die eine Straße überquerte.
„Ich hab das jetzt gebraucht!“, seufzte Zoe, griff sich ein vegetarisches Würstchen und biss ab. „Zum Entspannen!“
Doch Maximilian reagierte nicht. Er verzog nur das Gesicht, presste die Augen zusammen und fletschte die Zähne.
„Diese Motorradfahrer!“
„Früher oder später kriegen wir sie.“
Mit diesen Worten lenkte Zoe den Firebird zur Seite, sie drängte den Motorradfahrer in den Graben, bis schließlich ein Baum erschien, der ihre Fahrt auf zerstörerische Weise beendete.
„Du bist gegen einen Baum gefahren!“
„Ich dachte, ich krieg ihn!“
„Ich wollte ihn abknallen!“
„Ich hatte ihn doch fast!“
„Aber nur fast!“
„Noch mal?“
„Wegen mir!“
Zoe schlang die vegetarische Wurst herunter, lehnte sich nach hinten und knallte ihre Füße auf den Stuhl.
„Bereit?“
Maximilian beobachtete Zoe aus den Augenwinkeln. Sie war gut gekleidet, was bedeutete, dass sie aus einem reichen Elternhaus kam. Außerdem trug sie teuren Schmuck, einen Designer-Gürtel, der mehr brachte als Maximilians Rente im Monat. Dennoch wirkte ihre Haut nicht so makellos wie ihr Outfit. Dicke Pickel bevölkerten ihr Gesicht, das unter einer Make-up-Schicht versteckt lag. Kratzer und kleine Narben schmückten ihren Unteram, als wären sie ihr von den winzigen Menschen Liliputs zugefügt worden.
„Bereit?“

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    Der Park befand sich gleich um die Ecke. „Alter Friedhof“ nannte man ihn, da er bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts als solcher Verwendung fand. Jetzt standen hier nur noch vereinzelt Grabsteine, wie kleine Verzierungen zwischen Büschen und Bäumen, kleine romantische Andenken, übersäht mit Moos und Vergangenheit. Keiner nahm sie mehr wahr. Sie integrierten sich so perfekt ins Bild, als wäre ein Park mit Grabsteinen das natürlichste auf der Welt. Manchmal spielten hier Kinder. Aber der Regen hatte sie verscheucht, genauso wie die Rentner, die sonst auf den Bänken saßen und die Kleinen beobachteten. Doch Maximilian ging den Massen lieber aus dem Weg. Die vielen Leute, die Hunde, die Vögel, die Sportler. Erst kürzlich wurde er Opfer eines Joggers, der ihn umrannte und anschließend noch beschimpfte. Aggressionen Älteren gegenüber nahmen in den letzten Jahren immer mehr zu. Von wegen Aufstehen in der U-Bahn und einem Rentner den Platz anbieten, diese Zeiten verblassten im Kurzzeitgedächtnis der Geschichte. Nur der Stärkere setzte seine Rechte durch. Und Maximilian zählte nicht dazu. Ihm ging es wie Millionen anderer Rentner: Weder Politiker noch die Neuen Jungen freuten sich über ihr Dasein. Die Überbleibsel des 20. Jahrhunderts, Altlasten, die zu nichts mehr taugten. Sie kosteten nur Geld und nahmen Platz weg. Kein Nutzen mehr. Der Bodensatz der Gesellschaft. Jetzt brauchte man junge, hoch qualifizierte Menschen. Das Rentenalter wurde somit zur Sühnezeit für Alten. Die meisten trugen graue Kleidung, verschwanden damit im großen Grau der Stadt. Bloß nicht auffallen. Wie Antilopen vor den Löwen, versuchten sich die Alten unsichtbar zu machen. Die Jungen, das waren die Löwen. Vor ihnen fürchteten sie sich und das, obwohl sie ihnen zahlenmäßig überlegen waren – doch sie lebten von ihrer Gunst. Die Jungen regierten. Die Alten schämten sich im Hintergrund. Am besten forderten sie nichts. Blieben unsichtbar. Sagten nichts. Niemand von ihnen hätte sich das Alter jemals so vorgestellt. Gemütliche Abende am Kamin, den Enkeln etwas vorlesen und dann heiße Schokolade servieren – so sollte es sein. Das war das Versprechen der Gesellschaft, der berühmte Generationenvertrag. Doch man belog sie. Die Lüge der ewigen Jugend.
Maximilian stellte den Kragen höher und schlich in den Park. Er musste vorsichtig sein, bloß keine Aufmerksamkeit erregen, überall gab es Rentenspitzel. Als der Regen aufhörte, ging Maximilian zu einer der Parkbänken, holte ein Tuch hervor und wischte die Regentropfen auf, die auf dem grünlich schimmerten Holz glänzten. Er strich über die ganze Bank – bis kein einziger Regentropfen übrig blieb. Dann setzte er sich und lauschte der Stadt. Nach so einem Regen kehrte meist Stille ein. Die Menschen redeten leiser. Selbst die Natur drehte den Lautstärkepegel zurück. Nur die Autos, die Sirenen und die Hupen störte das nicht. Sie quäkten, polterten, heulten und stöhnten, als hätte der Regen sie noch mehr verärgert.
Es gab aber auch Menschen, die sich vom Regen nicht

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