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Der zugeteilte Rentner (German Edition)

Der zugeteilte Rentner (German Edition)

Titel: Der zugeteilte Rentner (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Schulte
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Sekunden am liebsten gewürgt hätten, kehrte plötzlich schönste Harmonie ein. Clara lächelte, als sie Finn so sah: Seine Haare standen ab, sein Dreitagesbart genauso, die Pausbäckchen eines Hamsters, ein Teil seines Hemdes steckte in der Hose, ein anderer außerhalb. Sie hatte ihm oft gezeigt, wie er sich kleiden sollte, aber schon am nächsten Tag vergaß er es. Manchmal nannte sie ihn „Frosch“, weil er so ausgeflippt herumlief, manchmal auch „Bär“, wegen seinem Bauch. Als die beiden sich küssten, schaute Maximilian weg. Er brummelte, dann machte er den Fernseher lauter und rutschte tiefer ins Sofa.
„Wollen wir noch was machen?“, flüsterte Finn.
„Kann nicht! Ich muss noch arbeiten gehen!“
„Und morgen Mittag?“
„In Ordnung!“, sagte Clara und umarmte ihn. Dann steckte sie ihre Hände in seine Manteltaschen und wühlte darin herum: ein Schlüssel, ein Taschentuch, eine Packung Kaugummi und zwei Bonbons. Sie liebte das, sie versteckte gern ihre Hände in seinen Taschen, wenn er einen Mantel oder eine Jacke trug; vor allem in der kalten Jahreszeit hielt das die Hände warm.
„Wenn du nicht kannst, treffe ich mich mit den Jungs in der Stadt. Die wollten heute um die Häuser ziehen.“
Die Jungs, wie Finn sie immer bezeichnete, waren seine Studien-Freunde. Wenn sie die Gelegenheit bekamen, trafen sie sich, zogen von einer Kneipe zur nächsten und feierten. Clara fand das nicht gut, akzeptierte das aber, weil es so ein „Männer-Ding“ war. Sie dagegen machte ihre „Frauen-Dinger“, auch hier musste Finn ab und zu Verständnis zeigen. Meistens reichte nur die kurze Bemerkung „Ich mache heute mein Frauen-Ding“ und Finn wusste Bescheid. Für ihn bedeutete das: Er hatte dort nichts zu suchen, durfte sich nicht beschweren und erst recht keine Vorhaltungen machen – eben ein „Frauen-Ding“.
„Versprech’ mir, dass du keine anderen Frauen ansiehst! Dann lass ich dich gehen.“
Finn lächelte, seine Bäckchen formten sich zu kleinen Kugeln und er küsste sie auf die Stirn. Dann marschierte er aus der Tür, warf ihr noch eine Kusshand entgegen und verschwand im Aufzug. Clara schaute ihm hinterher. Sie liebte es, wenn er den Flur entlang schlenderte und seine Po-Backen hin und her schaukelten, so wie sie es am liebsten hatte – rund und bissfest.
Als sie die Tür schloss, erwartete sie von Maximilian einen blöden Spruch oder eine andere unangemessene Reaktion. Doch er schwieg, seine Fernsehsendung fesselte ihn zu sehr, ein Zwanzigjähriger gewann gerade die Rente fürs Leben.
„Ich weiß, ich bin schwach geworden!“
Doch der alte Mann ignorierte sie. Dann schaute er plötzlich auf die Uhr. Kurz nach sieben. Er stand auf, nahm Mantel und Hund und verabschiedete sich von Clara. Dann marschierte er Richtung Innenstadt.

Allgemeine Berechungsgrundsätze
    Finn durchkreuzte seine Pläne. Es wäre zu einfach gewesen, wenn Clara sich von ihrem Freund trennte, nur weil dieser furchtbare Eltern hatte. Maximilian musste ihr einen Grund geben, damit sie ihn aus ihrem Leben verbannte. Er wollte in die City, dort wo das Leben herrschte, wo die Stadt noch glänzte und funkelte und dort wo sich all die vielen Einkaufspassagen befanden. Dorthin zu gelangen, gestaltete sich schwierig. Maximilian besaß keine Fahrkarte, weder für Bus, noch für Straßen- oder U-Bahn. Und zum Laufen war die Strecke zu weit. Um sein Ziel zu erreichen, entwickelte er deshalb eine Fortbewegungsstrategie, die dem Spiel „Scotland Yard“ folgte. Wenn er ausschließlich mit der Straßenbahn in die Stadt fuhr, erhöhte sich die Wahrscheinlichkeit, dass einer der Kontrolleure ihn beim Schwarzfahren erwischte. Erst ein paar Tage zuvor bemerkte Maximilian einen „Maulwurf“: ein Kontrolleur, der sich als Obdachloser verkleidet hatte, um nicht aufzufallen – er stank sogar. Als alle Fahrgäste in die U-Bahn einstiegen und sich sicher fühlten, zog er seinen Ausweis heraus und überprüfte die Fahrscheine. Die Hälfte der Fahrgäste erwischte er ohne Ticket. Da man diese Maulwürfe nach Erfolgsquote bezahlte, ließen sie sich alles Mögliche einfallen, um die Leute zu überraschen, es gab sogar welche, die Fahrscheinautomaten sabotierten, um mehr Schwarzfahrer zu überführen.
Doch für Maximilian stellte das kein Problem dar. Seine Bewegungsstrategie war immer erfolgreich. Er stieg in die Linie 11, fuhr eine Haltestelle bis zur U-Bahn, stieg in die S2 Richtung Südfriedhof, wurde von zwei Ordnungsleuten wegen seines Koffers

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