Der zugeteilte Rentner (German Edition)
wiederkommen?“
„Nein!“, beeilte er sich. „Nein! Bleiben Sie! Ich bin nur müde. Aber das bin ich immer – das liegt an den Medikamenten.“
Maximilian machte eine Armbewegung, dass sie bleiben sollte, dann richtete er sich im Stuhl auf.
„Warum sind Sie gekommen?“
„Einfach so!“
„Sie wissen nicht, warum Sie hier sind?“
„Wollte Sie mal besuchen!“
„Sie sollten besser bei ihrem Freund sein, Flint …“
„Sein Name ist Finn!“
„Ich habe ihnen alles kaputt gemacht! Und jetzt sind Sie hier. Sollte ich mich schämen?“
„Das wäre ein Anfang!“
„Gut! Dann schäme ich mich!“
„Schon komisch, irgendwie habe ich Sie vermisst!“
Maximilian lächelte, er glaubte ihr nicht. Warum sollte er das auch? Er war das Scheusal, das ihr Leben zerstörte, sie belog und betrog. So jemanden vermisste man nicht.
Aus einer Tasche seines Mantels zog er plötzlich einen Brief. Das Papier war mehrmals gefaltet, die Seiten umgeknickt, die Ränder bereits gelb. Maximilian las den Brief, als wäre es das erste Mal. Doch er kannte den Inhalt. Dennoch betrachtete er den Brief von oben bis unten.
„Mein Bruder ist tot!“, flüsterte er. „Lungenentzündung schreiben sie. Das kann in so einem Zustand vorkommen. Er hätte es sowieso nicht geschafft. Heute beerdigen sie ihn. Und ich kann noch nicht einmal dort sein. Habe keinen Freigängerausweis. Den bekommen hier nur wenige.“
Clara wollte ihm helfen. Aber wie hätte sie das tun sollen? Sie war nur eine einfache Medizinstudentin, die selbst Hilfe benötigte. Sie fand weder Kraft noch Mittel, ihm beizustehen.
„Und wenn Sie ohne Erlaubnis gingen?“
„Ohne Erlaubnis?“, Maximilian deutete auf die Gitterstäbe, die überall an den Fenstern angebracht waren. „Das ist hier wie im Gefängnis. Man kann nicht einfach gehen. Das ist nicht erlaubt. Was glauben Sie, wo wir sind?“
Der Mann, der vor ihr saß, war nicht Maximilian, jedenfalls nicht der, den sie kannte. Dieser Mann hatte den Lebenswillen aufgegeben. Er wollte nichts mehr, gab sich seinem Schicksal einfach hin. Der alte Maximilian hätte so etwas nie getan. Der brauchte keine Erlaubnis – der tat, was er wollte.
„Gehen Sie!“, flüsterte sie ihm plötzlich zu und war selbst überrascht, solche Worte von sich zu hören.
„Was?“
„Gehen Sie!“
„Sie meinen ausbrechen?“
„Ja!“
„Ich soll fliehen? Sie sind verrückt!“
„Ich vermute, das ist als Kompliment gemeint!“
„Nein!“
Der Bettnachbar richtete sich etwas auf, um die beiden sehen zu können. Er klammerte sich mit beiden Händen an den Haltegriff und zog sich hoch. Seine Augen weiteten sich.
„Du kommst hier nicht raus!“
Er kniff die Augen zu, Altersdiabetes hatte ihn halb blind gemacht. Nur ihre Umrisse erkannte er.
„Wenn du versuchst auszubrechen, klingele ich nach der Schwester!“
Ausbruch. Freiheit. Für einen Augenblick zögerte Maximilian. „Ich bin zu langsam! Die kriegen mich! Es ist zwecklos. Ich werde hier nie rauskommen. Zumindest nicht lebend.“
Maximilian gab auf. Der Mann, von dem sie so etwas nie gedacht hätte. Er kämpfte immer, ein kleiner Revoluzzer, der keine Obrigkeit akzeptierte und jetzt?
„Ich helfe ihnen!“
Maximilian blickte sie mit großen Augen an. Vielleicht sollte sie besser auf ihre Wortwahl achten. Aber im gleichen Augenblick, als sie die Worte relativieren wollte oder ihr Angebot sogar zurückziehen, kam er ihr zuvor.
„Dann mal los!“
Ihr fehlten die Worte. Zu spät. Jetzt befand sie sich mittendrin, keine Chance mehr, da herauszukommen, wie in Pamplona: Wenn die Stiere erst einmal rannten, gab es kein Zurück – nur noch geradeaus. Aber warum auch nicht?
Der Plan war schnell gefasst: Maximilian simulierte einen Herzanfall, sie verkleidete sich als Ärztin, brachte ihn aus dem dritten Stock ins Erdgeschoss, vorbei an den Sicherheitsleuten, vorbei an der chipgesteuerten Eingangstür, dann das Gelände verlassen und bei all dem nicht erwischt werden.
„Ich glaube, wir schaffen’s nicht.“
Aber Maximilian zog aus seinem Koffer einen Arztkittel, inklusive Chipkarte.
„Wann haben sie das besorgt?“
Maximilian war bestens vorbereitet. Und das, obwohl er gar nicht wissen konnte, dass sie käme und ihm zur Flucht verhelfen würde.
„Sie wollten fliehen? Und mir spielen Sie den hilflosen alten Mann vor?“
„Ich habe auf den richtigen Zeitpunkt gewartet.“
Und dieser schien gekommen. Nachdem sie Maximilians Bettnachbarn die Notklingel entwendet hatten, rief Clara eine studentische
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