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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Lachen platzen zu wollen. Ein kleiner Infanterist, der in einem Lehnstuhle saß, beugte sich vor und hielt sich scheinbar den Bauch. Drei andere lehnten sich nachlässig gegen die Seitenlehnen ihrer Stühle, während ein Jäger die Hand vorstreckte, wie um ein Glas vom Tische zu nehmen. Augenscheinlich hatten sie den Keller ausgeleert und feierten ein Fest.
    »Wie kommen die denn noch hierher?« fragte Prosper sich leise, und sein Erstaunen wuchs, je näher sie kamen. »Machen sich denn die Teufelskerls gar nichts aus den Preußen?«
    Silvines Augen aber erweiterten sich, sie stieß einen Schrei aus und machte vor Schrecken eine wilde Bewegung. Die Soldaten rührten sich nicht, sie waren tot. Die beiden Zuaven, steif, mit verkrümmten Händen, hatten kein Gesicht mehr, ihre Nasen waren abgerissen und die Augen aus ihren Höhlen gequollen. Das Lachen desjenigen, der sich den Bauch hielt, kam daher, daß eine Kugel ihm die Lippen weggerissen und die Zähne ausgebrochen hatte. Es war wirklich gräßlich, wie die Ärmsten hier in ihren Holzpuppenstellungen zu plaudern schienen, mit gläsernen Blicken und offenem Munde, eisig, starr für immer. Hatten sie sich noch lebend hierher geschleppt, um zusammen zu sterben? Oder hatten sich nicht vielmehr die Preußen einen Spaß daraus gemacht, sie aufzulesenund sie hier zu einer Tafelrunde hinzusetzen als Spottbild alter französischer Heiterkeit?
    »'ne merkwürdige Sorte von Spaß ist das doch!« bemerkte Prosper und wurde blaß.
    Als sie dann die andern Toten am Fuß der Bäume in den Baumgängen und auf dem Rasen liegen sahen, die etwa dreißig Tapferen, unter denen auch der Leichnam Leutnant Rochas' ruhte, von Kugeln durchlöchert und in die Fahne eingehüllt, da fügte er mit ernster Miene voller Hochachtung hinzu:
    »Hier haben sie sich aber schön geholzt! Es sollte mich doch wundern, wenn wir den Bürger fänden, den wir hier suchen.«
    Silvine war bereits ins Haus getreten, das mit eingeschlagenen Fenstern und Türen in die feuchte Luft hinausgähnte. Wirklich war offenbar niemand mehr da, die Inhaber mußten schon vor der Schlacht fortgegangen sein. Als sie aber weiter forschte und bis in die Küche vordrang, stieß sie einen Schreckensschrei aus. Zwei Körper waren unter den Gossenstein gerollt, ein Zuave, ein schöner Mann mit schwarzem Bart, und ein riesiger Preuße mit roten Haaren, beide in einer wütenden Umarmung verstrickt. Die Zähne des einen waren dem andern in die Backe gedrungen, die steifen Arme hatten ihren Halt nicht fahren lassen, sie ließen noch die gebrochenen Rückgrate krachen und verschlangen die beiden Körper in einen derartigen Knoten ewig währender Wut, daß sie zusammen beerdigt werden mußten.
    Nun beeilte Prosper sich, Silvine fortzuführen, denn sie hatten in diesem offenstehenden, nur vom Tode bewohnten Hause nichts mehr zu tun. Und als sie dann verzweifelt wieder zu dem Posten kamen, der ihren Esel mit dem Karrenzurückgehalten hatte, trafen sie glücklicherweise bei dem rohen Offizier einen General, der das Schlachtfeld besichtigen wollte. Der wünschte Einsicht in den Erlaubnisschein zu nehmen und gab ihn dann Silvine mit einer mitleidigen Bewegung zurück, als wollte er sagen, laßt doch die arme Frau mit ihrem Esel die Leiche ihres Mannes suchen. Ohne zu warten, stiegen sie und ihr Begleiter nun von dem schmalen Karren gefolgt, gemäß einem erneuten Verbot des Durchmarsches durch Sedan, den Givonnegrund aufwärts.
    Um dann nach der Hochebene von Illy hinaufzukommen, schlugen sie den nach links führenden Weg ein, der durch das Garennegehölz geht. Aber auch hier wurden sie wieder aufgehalten; immer wieder glaubten sie, sie kämen nicht durch das Gehölz durch, so vervielfältigtes sich die Hindernisse. Auf jeden Schritt wurde der Weg durch Bäume versperrt, die, von Granaten abgeknickt, wie gefällte Riesen dalagen. Das war der beschossene Wald, in dem das Geschützfeuer weit und breit hundertjährige Bestände niedergeschlagen hatte, die wie ein Viereck der alten Garde mit Unerschütterlicher Festigkeit dagestanden hatten. Überall lagen entblätterte Stämme wie mit durchbohrter und gespaltener Brust umher. Und diese Vernichtung, dies Gemetzel von Ästen, die ihren Saft herniederrieseln ließen, machte denselben herzzerreißenden Eindruck wie ein menschliches Schlachtfeld. Aber auch Leichen lagen umher, brüderlich mit den Bäumen gefallene Soldaten. Ein Leutnant, dem das Blut vor dem Munde stand, hatte noch beide Hände in der

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